Einigung bei Lieferkettengesetz
Heil: Historischer Durchbruch für Menschenrechte
Bis zuletzt dauerte das Ringen. Und es war fraglich, ob ein Lieferkettengesetz in dieser Legislaturperiode überhaupt noch kommt. Nun feiern drei Minister einen Kompromiss, der aber auch auf Kritik stößt. Die Linkspartei spricht von einem "zahnlosen Tiger".
Montag, 15.02.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 14.02.2021, 11:23 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Nach monatelangem Streit hat sich die große Koalition auf ein Lieferkettengesetz geeinigt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach am Freitag von einem historischen Durchbruch für die Menschenrechte. Das geplante Gesetz werde das bisher stärkste in Europa sein. „Es wird vielen Menschen mehr Rechte geben“, zeigte sich Heil überzeugt, der die Federführung für den Gesetzentwurf übernimmt. Er soll Mitte März ins Kabinett und noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschiedet werden.
Das Lieferkettengesetz soll große deutsche Firmen in die Pflicht nehmen, auch bei ihren ausländischen Zulieferern auf die Einhaltung von Menschenrechten und auf Umweltschutz zu achten. „Freiwilligkeit allein reicht nicht aus“, sagte Minister Heil. Der Kompromiss stieß auf ein geteiltes Echo. Entwicklungsorganisationen sprachen von einem ersten wichtigen Schritt, forderten aber Nachbesserungen. „Brot für die Welt“ kritisierte, dass keine Regelungen zur zivilrechtlichen Unternehmenshaftung und Entschädigung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen vorgesehen sind. Auch Oxfam sprach von „einem Lieferkettengesetz light mit Schonfrist für Unternehmen“.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach am Freitag von einem „vernünftigen Kompromiss“ für ein ausgewogenes und ausbalanciertes Gesetz. Die Ministerien hätten bis gestern darum gerungen. Sein Ziel sei gewesen, den bürokratischen Aufwand und die Belastungen für Firmen vor allem in der Corona-Pandemie zu begrenzen und den Mittelstand auszunehmen.
Klagerecht in Deutschland
Das Gesetz soll ab 2023 für große Firmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten gelten, das sind den Angaben zufolge etwa 600 Betriebe. Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten folgen ab 2024, das sind knapp 3.000. Laut Altmaier soll die Sorgfaltspflicht vor allem für unmittelbare Zulieferer gelten. Falls ein Unternehmen aber auch von Verstößen bei einem mittelbaren Zulieferer erfährt, soll es verpflichtet sein, dies abzustellen.
Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften sollen bei Menschenrechtsverletzungen im Ausland vor deutschen Gerichten klagen können. Eine staatliche Kontrollbehörde muss „mit einem robusten Mandat“ gemeldeten Sorgfaltsverletzungen von Unternehmen vor Ort nachgehen. Sie kann Zwangs- und Bußgelder verhängen. Bei Verstößen sollen Unternehmen bis zu drei Jahre von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden. „Das Lieferkettengesetz ist ein Gesetz mit Zähnen“, sagte Heil.
Müller: Gerechte Globalisierung
Auch Entwicklungsminister Müller zeigte sich erleichtert über den Kompromiss: „Das Lieferkettengesetz kommt.“ Es sei ein Signal für eine gerechte Globalisierung. „Made in Germany“ stehe in Zukunft auch für globale Verantwortung und für faire Produktion, sagte er. Es komme darauf an, dass sich zum Beispiel für Frauen, die auf Teeplantagen in Indien arbeiten, etwas zum Positiven verändere.
Die drei Minister verwiesen auch auf die EU. In Brüssel wird im Frühjahr ein Entwurf für ein Lieferkettengesetz erwartet. In der Bundesregierung hatte das Thema monatelang für Streit gesorgt. Während das Arbeitsministerium gemeinsam mit dem Entwicklungsministerium schon im Sommer vergangenen Jahres Eckpunkte erarbeitet hatte, stellte sich das Wirtschaftsministerium lange quer.
Linke: Lieferkettengesetz zahnloser Tiger
Nach Überzeugung von Michel Brand (Linke) ist der Kompromiss eine Absage an den wirksamen Schutz der Menschenrechte. „Ohne eine Unternehmenshaftung ist das Gesetz ein zahnloser Tiger. Immer wieder sehen deutsche Unternehmen bei Menschenrechtsverstößen weg und profitieren sogar davon. Sie müssen deshalb von Betroffenen zur Rechenschaft gezogen werden können, sonst bleibt alles wie es ist“, erklärte der Linke-Obmann im Ausschuss für Menschenrechte.
Unverantwortlich sei es auch, die Einhaltung menschenrechtlicher Standards in der Lieferkette auf wenige Unternehmen zu beschränken. „Wenn erst ab 2024 nur Firmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten menschenrechtliche Verantwortung für ihre Lieferkette haben, betrifft das nur rund 2.900 von insgesamt 3,5 Millionen Unternehmen hierzulande. Das sind weniger als 0,1 Prozent der Firmen in Deutschland. Menschenrechte bleiben damit ein blinder Fleck in der deutschen Wirtschaft“, so Brand.
Wirtschaftsinstitut kritisiert Gesetz
Das Regelwerk geht zurück auf die UN-Leitprinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten von 2011. Daraufhin beschloss Deutschland 2016 den „Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“, der auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD bekräftigt wird. Dieser sah vor: Wenn bis 2020 weniger als die Hälfte der Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachkommen, sollen „weitergehende Schritte bis hin zu gesetzlichen Maßnahmen“ geprüft werden. Es stellte sich heraus, dass noch nicht einmal ein Fünftel der rund 7.400 Unternehmen die Anforderungen hinreichend erfüllte.
Gabriel Felbermayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, übte grundsätzliche Kritik. Ein Lieferkettengesetz belaste die Falschen, wenn es auf deutsche Unternehmen abziele, warnte er. „Besser wäre es, ein Fehlverhalten ausländischer Unternehmen direkt mit geeigneten Sanktionen zu ahnden.“ Felbermayr begrüßte, dass Unternehmen nicht für Menschenrechtsverletzungen im Ausland haften müssen, die sie oft gar nicht beeinflussen könnten. (epd/mig) Leitartikel Wirtschaft
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