EGMR
Deutschland habe Kindertötung in Kundus ausreichend aufgeklärt
Der Menschenrechtsgerichtshof hat Deutschland freigesprochen vom Vorwurf, einen Luftangriff mit zivilen Opfern in Afghanistan nicht hinreichend aufgeklärt zu haben. Bei dem Angriff gab es mehr als hundert Tote und Verletzte, darunter mehrere Kinder.
Mittwoch, 17.02.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.02.2021, 16:10 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Deutschland vom Vorwurf freigesprochen, den Nato-Luftangriff bei Kundus 2009 nicht ausreichend aufgeklärt zu haben. Geklagt hatte ein Afghane, der bei dem von einem Bundeswehr-Oberst angeforderten Bombardement zwei Kinder verlor, wie der EGMR am Dienstag in Straßburg mitteilte. Die Richter befanden, „dass die Untersuchung der deutschen Behörden zum Tod der beiden Söhne des Beschwerdeführers den Anforderungen an eine wirksame Untersuchung“ entsprochen habe. (AZ: 4871/16)
Der Luftangriff erfolgte in der Nacht vom 3. auf den 4. September 2009 in der Nähe des nordafghanischen Kundus, wo auch die Bundeswehr im Rahmen des Nato-Einsatzes stationiert war. Ziel waren zwei von Taliban-Kämpfern entführte Tanklastwagen, die in einem Fluss feststeckten. Die Taliban hatten Dorfbewohner rekrutiert, um die Tanker loszubekommen, wie der EGMR rekapitulierte. Bundeswehr-Oberst Georg Klein forderte von den USA Luftunterstützung an. Die Laster hätten womöglich als rollende Bomben eingesetzt werden können.
Mehr als hundert Tote und Verletzte
Zwei US-Kampfflugzeuge zerstörten daraufhin die Tanklaster. Dabei kam eine ungeklärte Anzahl von Menschen ums Leben. Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) geht von „vermutlich“ mehr als hundert Toten und Verletzten aus, die meisten von ihnen Zivilisten. Unter ihnen waren die acht und zwölf Jahre alten Söhne von Abdul Hanan, des Klägers vor dem EGMR. Das ECCHR, eine Menschenrechtsorganisation aus Berlin, unterstützte Hanan wegen der grundsätzlichen Bedeutung seines Falles.
Die Klage stützte sich vor allem auf Artikel zwei der Europäischen Menschenrechtskonvention, die den Schutz des Lebens gebietet. Deutschland habe nach dem Angriff nicht hinreichend ermittelt – das sei aber nötig, um das Recht auf Leben gemäß der Konvention zu schützen, argumentierte das ECCHR.
Ermittlungen eingestellt
Die Straßburger Richter befanden dagegen, dass die deutschen Behörden genug getan hätten. In Deutschland kam es zwar zu Ermittlungen gegen Klein, diese wurden aber eingestellt. Zentrale Fragen waren, ob Klein von den Zivilisten wusste und wieviele Menschen ums Leben kamen. Der EGMR befand, dass der Sachverhalt im Zusammenhang mit dem Angriff „einschließlich des Entscheidungs- und Zielverifizierungsprozesses“ von den Deutschen „gründlich und zuverlässig ermittelt worden war, um die Rechtmäßigkeit der Anwendung tödlicher Gewalt zu bestimmen“.
Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) sieht sich bestätigt. Zwar seien in jener Nacht „leider Gottes Opfer zu beklagen“ gewesen, sagte Jung dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Doch die Taliban hätten den Fahrer des Tanklasters ermordet und das Ziel gehabt, ihn in das Bundeswehr-Camp zu lenken. „Unser Oberst Klein hat die Entscheidung deshalb so getroffen.“
Anwalt: Urteil mit Licht und Schatten
ECCHR-Generalsekretär Wolfgang Kaleck, der Hanan vor dem EGMR vertreten hatte, sagte, dass es mit diesem Urteil in dem Verfahren strafrechtlich keine weiteren Möglichkeiten mehr gebe. Im Zivilverfahren gebe es aber noch die Möglichkeit einer Beschwerde vor dem EGMR gegen das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2020.
Das aktuelle Urteil bringe Licht und Schatten, machte der Anwalt klar. So werde es „international von größerer Bedeutung sein, auch für die Zukunft, dass die Europäische Menschenrechtskonvention in derartigen Fällen anzuwenden ist“. Bei den betroffenen Dorfbewohnern in Afghanistan werde allerdings wohl der Eindruck vorherrschen, dass die Tötung der Zivilisten „erstens nicht hinreichend aufgeklärt und zweitens nicht hinreichend sanktioniert wurde“.
Grüne fordern politische Aufarbeitung
Der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour kommentierte: „Das Ende der juristischen Aufarbeitung des Bombardements am Kundus-Fluss ist nicht das Ende der politischen Aufarbeitung.“ Weiter verweigere die Bundesregierung „eine unabhängige und wissenschaftliche Evaluation des Afghanistan-Einsatzes, bei der auch die Geschehnisse des 3./4. September 2009 einfließen müssen“.
Die Bundesregierung will einem Medienbericht zufolge das Mandat für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr bis Ende des Jahres verlängern. Das bisherige Mandat endet Ende März. Ein Entwurf für eine Verlängerung befinde sich derzeit in der Abstimmung zwischen den Ministerien und soll am Mittwoch kommender Woche im Kabinett vorgelegt werden. (epd/mig) Leitartikel Recht
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