Von Neukölln in den Bundestag
„Bleib wie Du bist“
Hakan Demir ist Enkel von Gastarbeiter:innen und tritt für den Bundestag an. Er nimmt uns alle zwei Wochen mit auf seine Reise „von Neukölln in den Bundestag?“ Heute mit einem Versprechen.
Von Hakan Demir Montag, 22.03.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 21.03.2021, 22:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Letztens schrieb ich auf Twitter: „Es geht nicht ums Geld. Es geht darum, die Gesellschaft sozial zu gestalten. Deshalb gilt auch für mich: Alle Nebeneinkünfte werde ich transparent machen und jeden Euro spenden. Und: Lobbytätigkeit ist natürlich ein absolutes No-Go.“ Über 20.000 Menschen haben diese Sätze auf Twitter gelesen.
Mehr als 50 Jusos, die derzeit für den Bundestag kandidieren, hatten zuvor ihren Verzicht auf Nebeneinkünfte und eine volle Transparenz angekündigt. Das geschah als unmittelbare Reaktion auf die Maskenaffäre der CDU und CSU.
Die Glaubwürdigkeit der Politik nimmt ab, und zwar in dem Maße, wie sich gerade CDU- und CSU-Politiker:innen an der Maskenbeschaffung und bei anderen Absprachen, von denen sie finanziell profitierten, bereichert haben. Es ist unmoralisch, es ist ein Schaden nicht nur für die Union, sondern für die gesamte Politik – und durch den dadurch entstehenden Vertrauensverlust auch für unsere Demokratie.
„Die Sehnsucht nach glaubwürdigen Politiker:innen ist groß. Das merke ich auch während meines Wahlkampfes. Bürger:innen kontaktieren mich aus dem ganzen Land. Der Tenor ist fast immer der gleiche: „Bleib wie Du bist.“ Doch was heißt das?“
Die Sehnsucht nach glaubwürdigen Politiker:innen ist groß. Das merke ich auch während meines Wahlkampfes. Bürger:innen kontaktieren mich aus dem ganzen Land. Der Tenor ist fast immer der gleiche: „Bleib wie Du bist.“ Doch was heißt das?
Ich gehe davon aus, dass niemand mit dem Vorsatz in die Politik geht, unehrlich und unethisch zu sein. Doch irgendwas muss dann später passieren, sodass für einige eine Diät von 10.083,47 Euro nicht mehr ausreicht.
Doch was hält die vielen Bundestagsabgeordneten und uns neue Bundestagskandidat:innen davon ab, nicht eines Tages ähnliche Fehler zu begehen wie Nüßlein, Sauter und Löbel?
Vorab: Politik darf nicht zum Selbstzweck werden. Werte wie Aufrichtigkeit, Fairness und Solidarität müssen die Grundlagen zur Ausübung des Mandats sein und Politik für Menschen zu machen – nicht an ihnen vorbei.
„Als ;Berufspolitiker:innen; mit hohem Einkommen bleibt es umso wichtiger, sich diese Haltung zu bewahren und nicht in einer lebensfremden Blase zu verschwinden, in der Einkommen von über 10.000 Euro zu einer Normalität werden, die sie für den Großteil der Menschen nicht sind.“
Dafür ist es wichtig, die Lebensrealitäten, Bedürfnisse und Herausforderungen von Menschen zu kennen und vor Augen zu haben. Also: Sich vergegenwärtigen, warum man diesen Weg gewählt hat und ausübt, offen und empathisch sein, im Austausch bleiben, der eigenen Polit-Blase entfliehen. Dabei ist Feedback wichtig – im Wahlkampf und darüber hinaus und Kritik annehmen – kurz: anständig bleiben und sich ein Netz von Vertrauten schaffen, die einen – wenn nötig – wieder erden.
Als „Berufspolitiker:innen“ mit hohem Einkommen bleibt es umso wichtiger, sich diese Haltung zu bewahren und nicht in einer lebensfremden Blase zu verschwinden, in der Einkommen von über 10.000 Euro zu einer Normalität werden, die sie für den Großteil der Menschen nicht sind.
Natürlich gibt es Gefahren und Anreize, die eine so privilegierte (Macht-)Position später mit sich bringen – und das Erkennen dieser Herausforderungen kann dazu führen, ihnen nicht zu erliegen.
Außerdem sind zu einer anständigeren und glaubwürdigeren Politik klare und überprüfbare Regeln wichtig, die für alle gelten: Eine Pflicht der Angabe von allen Nebeneinkünften, und zwar vom ersten Euro an, erscheint mehr als sinnvoll. Die gleiche Transparenz sollte bei der Offenlegung von Unternehmensbeteiligungen, Besitz von Aktien und anderen Wertpapieren gelten.
Gestern wurde ich mit 84 Prozent der Stimmen offiziell zum Bundestagskandidaten gewählt. Ein Facebook-User schrieb mir daraufhin: „Ich möchte es mal so sagen: Du wirst von der dunklen Seite verführt werden. Denk immer daran, wo du herkommst. Das wird dich schützen.“
Ich dachte kurz an mein Netz von Vertrauten, an die Menschen, mit denen ich jeden Tag zu tun habe und die Ideen, für die ich kämpfe und schrieb zurück: „Mach Dir keine Sorgen.“ Meinung
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