Bekenntnisschulen
NRW trennt Grundschulkinder nach Religionszugehörigkeit
Ein altes Gesetz sorgt in NRW dafür, dass Grundschulkinder nach ihrer Religionszugehörigkeit getrennt werden. Nicht katholische Kinder haben oft das Nachsehen. Mit einer Petition fordern Eltern und Lehrkräfte die Umwandlung aller staatlichen Bekenntnisschulen in Gemeinschaftsgrundschulen. Sie wollen ein Ende der Diskriminierung.
Von Max Ehlers Freitag, 16.04.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.04.2021, 14:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Die Absage der örtlichen Grundschule traf die Bocholter Familie wie der sprichwörtliche Blitz aus heiterem Himmel: „Die von Ihnen gewünschte Aufnahme in die ***schule kann ich leider nicht aussprechen.“ In der Begründung der Schulleiterin heißt es weiter: „Als katholische Bekenntnisschule genießen Anmeldungen von Kindern mit diesem Bekenntnis Vorrang vor anderen Anmeldungen. Alle zur Verfügung stehenden Plätze werden an Schulanfänger:innen mit katholischem Bekenntnis vergeben.“ Dass katholische Kinder nicht mit den evangelischen Kindern aus dem Ort spielen durften, kennt der ein oder andere vielleicht noch aus Erzählungen der Eltern oder Großeltern. Dass die nordrhein-westfälische Landesverfassung auch heute noch vorsieht, dass städtische Grundschulen Kinder nach Konfessionen trennen, ist den wenigsten bewusst.
In Bocholt gibt es 10 städtische Grundschulen, 7 davon sind katholisch, wie auch die Mehrheit der Bevölkerung. Für Kinder, die nicht katholisch sind, kann das wie im oben beschriebenen Fall bedeuten, dass sie nicht mit ihren Freund:innen aus dem Kindergarten in die Grundschule vor Ort gehen können. Stattdessen müssen ihre Eltern sie zur Grundschule in einen anderen Ortsteil Bocholts fahren. Die erste Begegnung mit der Schule lehrt diese Kinder, dass sie anders sind: Weil sie bekenntnislos, evangelisch oder muslimisch sind.
Spitze des Eisbergs
Fälle wie diesen gibt es jedes Jahr zuhauf im größten Bundesland Deutschlands. Bekannt geworden sind in diesem Schuljahr ähnliche Fälle wie der oben genannte auch aus Olpe und Bonn. Es handelt sich aber hier nur um die Spitze des Eisbergs, landesweit gibt es hunderte solcher Fälle, die wenigsten werden bekannt. Ein Drittel aller Grundschulen in Nordrhein-Westfalen sind Konfessionsschulen, 90 Prozent davon katholisch. In manchen Landstrichen, wie etwa im Münsterland, gibt es zahlreiche Kommunen, in denen alle Grundschulen katholisch sind. Träger ist aber nicht etwa die Kirche, sondern die jeweilige Kommune. Die Kirchen tragen zur Finanzierung keinen Euro bei. Dennoch legen sie die „spezifischen Grundsätze hinsichtlich Unterricht und Erziehung“ in diesen Schulen fest. In der täglichen Unterrichtspraxis der staatlichen Konfessionsschulen spielt das Bekenntnis allerdings kaum eine Rolle.
Ohnehin nimmt der Anteil katholischer Kinder laut Landesstatistik von Jahr zu Jahr ab. Im Schuljahr 2019/20 waren selbst an katholischen Bekenntnisschulen gerade noch 48 Prozent der Kinder katholisch. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung („Gleich und gleich gesellt sich gern“) stellte 2015 fest, dass freie Grundschulwahl zu verstärkter Segregation führt – heute natürlich nicht mehr nur von katholischen und evangelischen Kindern: „Je besser/beliebter eine Schule ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wohnsitzferne Kinder angemeldet werden. An einer Bekenntnisschule müssen bekenntnisangehörige Kinder vorrangig aufgenommen werden, so dass schulnah wohnende Kinder mit der ‚falschen‘ oder ohne Konfession das Nachsehen haben können und auf eine GGS ausweichen müssen.“
Umwandlung möglich
Es ist möglich, Schulen von ihrem Bekenntnis zu befreien. Die Eltern von Kindern an den jeweiligen Grundschulen können sie per Abstimmung in Gemeinschaftsgrundschulen umwandeln, die allen Kindern gleichermaßen offenstehen. Die Stadt Telgte leitete im Frühjahr 2020 aufgrund des Drucks zahlreicher Eltern ein solches Verfahren ein und rief Grundschuleltern dazu auf, alle drei Bekenntnisgrundschulen der Stadt umzuwandeln:
„Derzeit haben an den Bekenntnisschulen die katholischen Kinder einen Erstaufnahmeanspruch gegenüber den Kindern anderer oder ohne Bekenntnisse. Der Stadt Telgte als Schulträgerin und auch den Schulleitungen ist sehr daran gelegen, Kinder aller Glaubensgemeinschaften und verschiedener Nationalitäten an allen Grundschulen aufnehmen und beschulen zu können. Die Schulen sollten ein Spiegelbild unserer Stadtgesellschaft abbilden.“
An zwei der drei Schulen war die Abstimmung erfolgreich. Nur eine der insgesamt vier Telgter Grundschule ist heute noch katholisch gebunden. Auch hier hatte zwar eine überwältigende Mehrheit für die Umwandlung gestimmt, die notwendige absolute Mehrheit aller Wahlberechtigten wurde aber um vier Stimmen verfehlt. Selten ergreifen Städte so beherzt die Initiative wie in Telgte. In Bonn beispielsweise, wo 20 von 49 Grundschulen Bekenntnisschulen sind, lehnte der Stadtrat 2018 einen Bürgerantrag ab, an allen städtischen Bekenntnisschulen ein Umwandlungsverfahren einzuleiten. Immerhin forderte die Stadt aber das Land zu einer Verfassungsänderung auf.
Diskriminierung durch AGG
Auch Lehrkräfte leiden unter der Bekenntnisbindung. Bis vor wenigen Jahre galt, dass alle Lehrkräfte dem Schulbekenntnis angehören mussten. Seit einer Schulgesetzänderung von 2015 dürfen bei allen Stellen außer der Schulleiterstelle auch Ausnahmen gemacht werden, „zur Sicherung des Unterrichts“, wie es im Gesetz heißt. Eine betroffene Lehrerin schreibt dazu: „Ich bin kommissarische Leitung einer katholischen Grundschule und kann mich nicht auf die Stelle bewerben, da ich evangelisch bin. Es findet sich keine katholische Schulleitung. Das ist nicht zeitgemäß und total lebensfern.“ Nach Ansicht des Juristen Sebastian Hartmann könnte sie gegen die Benachteiligung klagen:
„Durch die geforderte Bekenntniszugehörigkeit von Lehrkräften und Schulleitung verstößt § 26 Abs. 6 SchulG NRW sowohl in seiner bisherigen als auch in seiner neuen Fassung gegen höherrangiges Bundesrecht in Form von § 1 AGG. Der Staat als solcher kann, obwohl er Bekenntnisschulen betreiben darf, sich nicht auf die Ausnahmeregelungen des AGG berufen, die in der derzeitigen Ausgestaltung zweifelsfrei nur für Religionsgemeinschaften gelten. Um diesen Missstand aufzulösen, müsste das Schulgesetz dahingehend geändert werden, dass es AGG-konform keine Einstellungsvoraussetzungen an das Bekenntnis knüpft.”
Petition gestartet
Wenn man politisch Verantwortliche darauf anspricht, geben sie durchaus zu, dass es sich um einen alten Zopf handelt, der längst abgeschnitten gehört. Aber alle Beteiligten haben Angst vor Veränderung – und die Verankerung in der Landesverfassung ist eine hohe Hürde.
Ausgelöst durch die Proteste in Telgte, Bocholt und Olpe haben sich nun Eltern und Lehrkräfte aus ganz NRW zusammengetan, die es satt haben, dass Kinder und ihre Familien durch das Nebeneinander von Gemeinschaftsschulen und Bekenntnisschulen in öffentlicher Trägerschaft massiv diskriminiert werden. „Endlich Gerechtigkeit: Schluss mit Diskriminierung an Grundschulen in NRW!“ fordern sie mit ihrer Petition. Sie wollen sich an den Landtag wenden, um zu erreichen, dass 50 Jahre nach Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg endlich auch Nordrhein-Westfalen die staatlichen Bekenntnisschulen aufgibt. Sie fordern: „Religion darf für die Aufnahme von Kindern an öffentlichen Grundschulen in NRW keine Rolle mehr spielen. Kinder müssen an der nächstgelegenen öffentlichen Schule zusammen lernen dürfen!“ Leitartikel Panorama
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Im katholischen Grevenbroich kamen nach dem Krieg evangelische Flüchtlinge aus dem Osten. Da es nur eine katholische Bekenntnisschule gab wurde eine neue Evang. Bekenntnisschule gebaut. Als diese Schule fertig war platzte die Kathol. Grundschule aus allen Nähten. An der neuen evang. Schule wurde 2 – 3 Klassenräume for Katholiken eingerichtet. Der Schulhof wurde mit weißen Trennlinien geteilt für Protestanten und Katholiken, die weiße Linie durfte nicht überschritten werden. Ein kathol. Pfarrer erzählte mir, dass nach dem Krieg bewusst die Flüchtlingsströme nach Religionszugehörigkeit gesteuert wurde, Katholiken in den Protestantischen Norden, Protestanten in den Katholischen Westen. Belenntnisschulen gehören m.E. nicht in unsere Zeit.