"Islamunterricht"
Hoch lebe die bayrische Religionsfreiheit!?
In Bayern will die Landesregierung bestimmen, was im Islamunterricht gelehrt werden soll. Als muslimische Mutter mit drei Kindern empfinde ich das als höchst beunruhigend.
Von Elif Yakac Donnerstag, 22.04.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.04.2021, 16:03 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
„Der Anspruch auf Gleichbehandlung ist nicht durch Gleichförmigkeit einzulösen“, heißt es in einer Schrift des renommierten Staatsrechtlers Hinnerk Wißmann, indem er die Form des Körperschaftstatus als Voraussetzung für Religionsfreiheit und Religionsgleichheit kritisiert – dazu später mehr.
Ab dem nächsten Schuljahr soll der Islamunterricht als Wahlpflichtfach an den bayrischen Schulen angeboten werden. Der bisherige Modellversuch Islamischer Unterricht soll auf ein reguläres Schulfach Islamunterricht übergehen. Nach dem Grundgesetz muss dieser Prozess von muslimischen Religionsgemeinschaften mitgetragen und der Religionsunterricht in „Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ erteilt werden.
„Da Muslime aber nicht die Voraussetzungen erfüllten und nicht als Religionsgemeinschaften anerkannt werden könnten, hätten sie keinen Anspruch auf die Mitgestaltung des islamischen Religionsunterrichts. Beim evangelischen und katholischen Religionsunterricht entscheiden stets die Kirchen über die Lerninhalte.“
Da Muslime aber nicht die zentrale Voraussetzung, sich mitgliedschaftlich zu organisieren, erfüllten und somit nicht als Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts anerkannt werden könnten, hätten sie keinen Anspruch auf die Mitgestaltung des islamischen Religionsunterrichts. Beim evangelischen und katholischen Religionsunterricht entscheiden stets die Kirchen über die Lerninhalte. Bezogen auf das anfängliche Zitat heißt es also: Wenn die vorgesehene Organisationsform nicht besteht, haben Religionsgemeinschaften auch keinen Anspruch auf ihre Freiheits- und Gleichheitsrechte. Um es genauer zu pointieren: Die Organisationsstruktur und -form hat erhebliche Auswirkungen auf die Frage der Religionsfreiheit.
An dieser Stelle ist jedoch zu berücksichtigen, dass diese kirchenähnliche Organisationsform dem Islam von Haus aus fremd ist. Muslim:innen besuchen Moscheen und nehmen an diversen Aktivitäten teil, ohne dafür in einem mitgliedschaftlichen Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften stehen zu müssen. Obgleich dieser prägnante Unterschied zu den meisten kirchlichen Religionsgemeinschaften seit Jahrzehnten von muslimischen Religionsgemeinschaften zutage gelegt wird, wird nach wie vor rigoros auf diese „Form“ beharrt. Warum muss zwingend eine „Form“ angenommen werden, die ohnehin auf eine hundertjährige Vergangenheit zurückblickt und keineswegs der heutigen pluralisierten Religionslandschaft Rechnung trägt, um die Berechtigung zu erhalten, über selbstverständliche Inhalte wie Religionsunterricht oder öffentlicher Rundfunk, die Muslime höchstpersönlich betreffen, mitzubestimmen?
„Als muslimische Mutter mit drei Kindern empfinde ich den Status quo als höchst beunruhigend, vor allem wenn der Staat mit Verweis auf den fehlenden Körperschaftsstatus sich selbst berechtigt sieht, die alleinige Verantwortung für den Islamunterricht zu übernehmen.“
Diese religionspolitische Gemengelage wirkt sich äußerst negativ und restriktiv auf das muslimische Leben in Bayern aus. Als muslimische Mutter mit drei Kindern empfinde ich den Status quo als höchst beunruhigend, vor allem wenn der Staat mit Verweis auf den fehlenden Körperschaftsstatus sich selbst berechtigt sieht, die alleinige Verantwortung für den Islamunterricht zu übernehmen.
Womöglich wäre es für viele Eltern ein entscheidender Grund, ihre Kinder nicht zum Islamunterricht zu schicken. Wichtig ist jedoch, diese Entscheidung von muslimischen Eltern nicht als Desinteresse am Islamunterricht zu deuten. Das Interesse wäre zweifelsohne vorhanden, aber nicht unter den bestehenden Umständen. Ich nehme mir sogar das Recht zu behaupten, dass viele Eltern, die ihre Kinder zum Islamunterricht schicken, womöglich nicht ausreichend darüber informiert sind, welche Rechte ihnen bei dieser Form des Islamunterrichts vorenthalten werden.
Diese restriktive Religionspolitik ist nicht nur Gegenstand des muslimischen Diskurses. Auch Staatsrechtler:innen und Wissenschaftler:innen außerhalb der muslimischen Community sehen den Umgang mit muslimischen Religionsgemeinschaften als problematisch. Sie sehen die religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates tangiert. Er greift indirekt in die innerreligiösen Angelegenheiten bzw. Organisationsform ein und schreibt ihnen vor, wie sie sich zu organisieren haben. Nur wenn diese „Form“ angenommen wird, sei die institutionelle Integration des Islam in die bestehenden Strukturen möglich.
„Warum zeigt die bayrische Landesregierung keine Bereitschaft, Übergangslösungen oder Kompromisse bereitzustellen, damit Muslime in Bayern von ihren grundrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsrechten Gebrauch machen können?“
Dabei zeigt ein Blick auf andere Bundesländer, dass Muslime auch völlig unabhängig vom Körperschaftsstatus am Prozess beteiligt werden können – wenn auch auf verfassungsrechtlich dünnem Eis, aber immerhin. Bereits in Hessen und Niedersachsen wird der islamische Religionsunterricht mit und in Verantwortung von islamischen Religionsgemeinschaften erteilt. In anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und das Saarland werden sie auf unterschiedlicher Weise in den Prozess miteinbezogen.
Warum zeigt die bayrische Landesregierung keine Bereitschaft, Übergangslösungen oder Kompromisse bereitzustellen, damit Muslime in Bayern von ihren grundrechtlichen Freiheits- und Gleichheitsrechten Gebrauch machen können? Halten sich die oben genannten Bundesländer etwa weniger an die religionspolitischen Bestimmungen oder ist Bayern schlicht nicht bereit, Muslime in die bestehenden Strukturen zu integrieren?
Im Hinblick auf die religionspolitische Entwicklung in den letzten Jahren ist dringend ein Perspektivwechsel in der Wahrnehmung und Berücksichtigung der muslimischen Bevölkerung in Bayern nötig. Meinung
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