Ende einer „hässlichen Geschichte“?
Die Todesstrafe in den USA verliert zunehmend an Unterstützern
Die aus der amerikanischen Justiz schwer wegzudenkende Institution der Todesstrafe - der Inbegriff staatlicher Macht - ist ins Wanken geraten. Hinrichtungsgegner standen in vielen Bundesstaaten lange Zeit auf einsamer Flur - das hat sich geändert.
Von Konrad Ege Montag, 10.05.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.05.2021, 20:40 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die Henker in den USA haben nicht mehr viel zu tun: 2020 wurden siebzehn Menschen hingerichtet, weniger als jemals zuvor seit 1992. 18 Todesurteile wurden gefällt. Mitte der 1990er Jahre waren es mehr als 300 gewesen. Vor nur wenigen Jahren war das „Ja“ zur Todesstrafe der Beweis, dass ein Politiker es ernst nimmt mit Recht und Gesetz. Der demokratische Senator Joe Biden hatte in den 90er Jahren ein Gesetz mitverfasst, die Todesstrafe auf weitere Straftaten auszuweiten. Als US-Präsident spricht sich Biden nun gegen die Todesstrafe aus, ohne auf großen Widerstand zu stoßen. Die Stimmung in der Gesellschaft hat sich gewandelt.
Moderne Hinrichtungen sind in den USA makaber choreographierte Schauspiele, bei denen ein Mensch am Schluss tot ist. Ein Pastor ist bei dem Ritual dabei. Reporter und Angehörige des Todeshäftlings und der Mordopfer sehen zu. Der Verurteilte leistet so gut wie nie Widerstand. Die Tötung eines Menschen durch eine Injektion soll medizinisch wirken, bis auf die Fesseln.
Im Bundesstaat Virginia fand die Pressekonferenz zur Zukunft der Todesstrafe Ende März coronabedingt draußen statt, auf einem Parkplatz vor dem Gefängnis in Jarratt, drei Autostunden südlich der Hauptstadt Washington. Im Gebäude befindet sich die Todeskammer. Dort wurden Menschen mit Ledergürteln auf dem elektrischen Stuhl festgeschnallt, der Kopf des Verurteilten wurde rasiert. Oder das „Hinrichtungsteam“ legte dem Gefesselten eine Infusion für die Giftspritze an. Lokalnachrichten berichten von der letzten Mahlzeit des Verurteilten.
Virginia: 1.300 Menschen hingerichtet
Auf der Pressekonferenz verkündete der Gouverneur von Virginia, Ralph Northam, das Ende der Todesstrafe in seinem Staat. Als junger Mann habe er an das Prinzip „Auge um Auge“ geglaubt, sagte der demokratische Politiker. Nun denke er, dass der Staat nicht garantieren könne, dass kein Unschuldiger hingerichtet wird. Und das sei doch die entscheidende Frage. In seiner vierhundertjährigen Geschichte hat Virginia mehr als 1.300 Menschen hingerichtet.
Virginia war ein mächtiges Symbol. Der Staat habe eine „hässliche Geschichte“ bei der vor allem gegen Schwarze gerichteten Todesstrafe, sagte der Autor des Abschaffungsgesetzes, Senator Scott Surovell, bei der Pressekonferenz. Nach vermehrten staatlichen Maßnahmen gegen die Lynchjustiz, bei der Weiße Schwarze bis weit ins 20. Jahrhundert hinein öffentlich ermordeten, hat der Staat vornehmlich Afro-Amerikaner mit dem Tod bestraft.
185 unschuldige Todeshäftlinge seit 1973
Laut einer Studie des gemeinnützigen Todesstrafen-Informationszentrums sind seit 1973 insgesamt 185 Todeshäftlinge als unschuldig entlassen worden. Hauptursachen für Fehlurteile seien Amtsvergehen und Falschaussagen. Er sei überzeugt, dass „unschuldige Menschen auch heute noch im Todestrakt sitzen“, sagte der ehemalige Todeshäftling Kirk Bloodsworth. Er war 1985 wegen Mordes und Vergewaltigung zum Tod verurteilt worden. DNA-Proben zeigten 1993 seine Unschuld.
Auf der anderen Seite standen Männer wie Jerry Givens. Als Henker von Virginia tötete er von 1982 bis 1999 62 Menschen. Der im April 2020 im Alter von 67 Jahren an Covid-19 verstorbene Afro-Amerikaner war einer der wenigen Henker, der nach seinem Dienstende Auskunft über seine Arbeit gab, die er selbst seiner Ehefrau verschwiegen habe. Kleinere Häftlinge hätten weniger Strom bekommen, große mehr. Manchmal konnte Givens verbranntes Fleisch riechen. Strom gehe aber schneller als Gift.
Todesstrafe in 27 Bundesstaaten
In seinen letzten Lebensjahren trat Givens gegen die Todesstrafe ein. Er habe Angst gehabt, einen Unschuldigen zu töten. Er selbst kam wegen einer Betrugssache mit dem Gesetz in Konflikt und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt – unschuldig, wie er meinte. Zudem habe ihn sein christlicher Glaube zum Nachdenken gebracht. Gott sei der Herr über Leben und Tod, nicht Jerry Givens. Das habe er schließlich eingesehen.
In 27 der 50 Bundesstaaten in den USA ist die Todesstrafe formell in Kraft. Seit 2000 haben elf Staaten die Todesstrafe abgeschafft. Bestimmte Vergehen, unter anderen die Überschreitung staatlicher Grenzen bei Mord, werden von der nationalstaatlichen Justiz auf Bundesebene geahndet. Ex-Präsident Donald Trump hat in seinen letzten sechs Amtsmonaten dreizehn Personen hinrichten lassen, mehr als jeder US-Präsident der modernen Geschichte. Man schulde dies den Angehörigen der Opfer, begründete damals sein Justizminister William Barr.
Weniger Todesstrafen durch gute Verteidigung
Die zunehmende Ablehnung der Todesstrafe ist nicht allein durch möglicherweise unschuldige Todeskandidaten begründet. Der Rückgang in Virginia habe auch mit der Einführung eines staatlichen Rechtshilfebüros bei Todesstrafenverfahren im Jahr 2004 zu tun, erklärte Juraprofessor Brandon Garrett, Autor von „End of Its Rope“ („Ende des Stricks“) über Virginias Todesstrafe (2017). Bei einer kompetenten juristischen Verteidigung vor Gericht fielen weniger Todesurteile, heißt es.
Senator Surovell sprach auch bei einer Pressekonferenz zum Tod von George Floyd: Der gewaltsame Tod des Afro-Amerikaners mutmaßlich durch einen Polizisten im Mai 2020 hat in den USA viel Nachdenken über Polizei und Justiz ausgelöst. Nach Virginia machen sich Todesstrafengegner daher Hoffnungen auf die Abschaffung der Todesstrafe in weiteren US-Bundesstaaten. (epd/mig) Aktuell Ausland
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Schon vor mehr als 20 Jahren, las ich ein Buch von einem ehemaligen US Richter, leider ist mir nicht im Gedächtnis geblieben, aus welchem Bundesstaat er kam und wieviele Male er die Todesstrafe ausgesprochen hat, aber es waren definitiv mehr als 30 Urteile!
Dieser Richter erklärte in seinem Buch, dass gerade vor Wählen zum Richter oder Staatsanwalt, besonders viel Todesstrafen ausgesprochen wurden, vor allem gegen Schwarze, da sich zu meist nur Weiße an den Amtswahlen beteiligten!
Oft spielte es keine große Rolle, ob dem Täter seine Verfehlungen auch wirklich nachgewiesen werden konnten, es ging hauptsächlich bei den Prozessen darum, der Jury die Schuld zu verkaufen!
Der Richter gestand in seinem Buch auch ein, dass von so manchem Staatsanwalt kurz vor einer Wahl stehend, Beweise der Unschuld nicht vorgelegt wurden!
Man spekulierte darauf, selbst wenn man wusste dass die Personunschuldig war, dass es Institutionen geben wird, die den Prozess anfechten und eine Umwandlung auf Lebenslänglich herausholen werden!
Geschah das nicht, wurde auch der Unschuldige hingerichtet!
Wenn solche Machenschaften schon von einem Richter veröffentlicht werden, der mehr als 30 Jahre im Amt ist, Frage ich mich, wie es dann noch Amerikaner geben kann, die noch immer fr die Todesstrafe plädieren, trotz des Wissens, wie sehr das ganze Verfahren politisiert werden kann und wird?!?