„Spielzeug ist nicht unschuldig“

Spielzeugmuseum stellt sich dem Thema Rassismus

Spielzeug gehört zu Nürnberg wie die Lebkuchen. Räderpferdchen, Bauklötze und Püppchen sind was rundum Schönes und Fröhliches - könnte man meinen. Aber auch Spielzeug kann eine Schattenseite haben.

Von Dienstag, 11.05.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.05.2021, 16:55 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

In einem Spielzeugmuseum freuen sich Besucherinnen und Besucher über Teddybären, Puppenküchen und Modellbahnen. Kann man ihnen zwischen nostalgischen Spieluhren und Barbiepuppen mit Themen wie weißer männlicher Dominanz, Kolonialgeschichte und Sklaverei kommen? Die Leiterin des Nürnberger Spielzeugmuseums Karin Falkenberg und ihr Team finden, dass man das muss. Stellvertretend für die anderen Museen der Stadt will sie das Thema Rassismus anpacken. „Wir erklären, was warum rassistisch ist“, kündigt sie an.

Der Impuls kam vor gut drei Jahren mit dem Besuch einer schwarzen amerikanischen Touristin, die sich aufgewühlt an der Kasse beschwerte: „Sie stellen rassistisches Spielzeug aus. Dieses Objekt verletzt mich und alle Menschen mit afro-amerikanischen Wurzeln“. „Coon Jigger“, ein Blechspielzeug zum Aufziehen, hatte ihren Ärger erregt. Den schlaksigen schwarzen Mann aus Alabama kann man mittels eines Federantriebs zum Tanzen bringen. Ein Produkt der Nürnberger Firma Paul Lehmann Patentwerke.

___STEADY_PAYWALL___

Falkenberg stimmt der Frau aus Amerika zu. „Coon“ ist in den USA eine heute nicht mehr sehr geläufige Beleidigung für einen Menschen schwarzer Hautfarbe. Das Blech-Ding, ein Spielzeug für weiße Kinder, ist ein Relikt aus der Sklaverei-Geschichte. Aber die traumatischen Erlebnisse der Kolonialgeschichte und der Sklaverei, die die empörte Reaktion der amerikanischen Besucherin auslöste, könnten weiße Menschen nicht nachvollziehen, sagt Falkenberg. „Was wir als eine nicht böse gemeinte Bemerkung verstehen, wirkt beim Gegenüber schnell verletzend.“

Objekte, „bei denen die Trigger-Warnung angehen muss“

Das Antirassismus-Vorhaben hat also damit begonnen, beim Museumsteam selbst Bewusstsein zu schaffen. Ein Workshop für alle stand zuerst auf dem Programm, um dem „Rassismus in uns“ auf die Spur zu kommen. Dann ein Gang zusammen mit Menschen anderer Hautfarben durch die Sammlung des Nürnberger Spielzeugmuseums, der verdeutlichte, es gibt einige Objekte, „bei denen die Trigger-Warnung angehen muss,“ so Falkenberg. Schwarze Puppengestalten, denen man die Stereotype ganz schnell ansieht, oder Sparbüchsen, die auf das Klischee vom gierigen ehemaligen Sklaven anspielen.

Das Spielzeugmuseum wird in den kommenden Jahren komplett umgebaut, will sich zu einem „emotionalem Weltmuseum“ entwickeln. Dabei solle unter dem Motto „Eine Ecke weiterdenken“ die bisherige europazentrierte Sichtweise hinterfragt werden, erklärt Falkenberg. Problematische Objekte sollten nicht mehr unkommentiert zu sehen sein. Schon in diesem Sommer wird es eine erste Sonderausstellung geben, die für Rassismus bei Spielzeug sensibilisieren soll. „Kontext“ ist hier das Schlüsselwort. Klischeehafte, stereotype beleidigende Sammlungsgegenstände werden nicht entfernt, sondern aus ihrer Zeit heraus erklärt. Damit ist Museums-Volontärin Mascha Eckert befasst.

„Man muss die Sachen auf den Kopf stellen“

Sie will darüber aufklären, wo Stereotype ihren Ursprung haben oder welche Bedeutung der Kolonialismus für die deutsche Gesellschaft hat. In den Lehrplänen der Schulen werde der nur am Rande behandelt, stellt Eckert fest. Es halte sich die Meinung, Deutschland habe nicht viele Kolonien gehabt und die auch nur sehr kurz. Dabei seien schon früh die Fugger und die Welser am Sklavenhandel beteiligt gewesen. „Da möchte ich ein paar Fakten auf den Tisch hauen, die bei den Leuten nicht so präsent sind“, sagt Eckert.

Solches Vorwissen zu den Objekten soll verhindern, „dass nicht ganz schnell wieder die Problematik entsteht, dass im Grunde Stereotype reproduziert werden“. Sie plane noch, wie sie mit den gezeigten Gegenständen umgehe, und habe das Gefühl, sich davon befreien zu müssen, wie traditionell Museum gemacht werde. „Man muss die Sachen auf den Kopf stellen – manchmal vielleicht wortwörtlich“, denkt die Volontärin nach.

„Ich kann es nicht mehr hören“

Eckert ist sich darüber im Klaren, dass ein Anti-Rassismus-Projekt gerade im Spielzeugmuseum nicht überall auf Begeisterung stößt. „Ich kann es nicht mehr hören“, schreiben Kommentatoren im Netz. Die Museumsleute werden als „Moralapostel“ betitelt. Aber, gibt Eckert zu denken, „auch Spielzeug ist nicht unschuldig“ – gerade wenn es Schwarze Menschen mit schmerzvollen Erfahrungen konfrontiere.

Natürlich könne man auch weiterhin durch das Spielzeugmuseum gehen „und sich nette Sachen anschauen und in Erinnerungen schwelgen“, stellt die Kuratorin fest. Aber die Ausstellung habe auch das Potenzial, Menschen die Augen zu öffnen, die sich auf das Projekt einlassen. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel

Zurück zur Startseite
MiGLETTER (mehr Informationen)

Verpasse nichts mehr. Bestelle jetzt den kostenlosen MiGAZIN-Newsletter:

UNTERSTÜTZE MiGAZIN! (mehr Informationen)

Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.

MiGGLIED WERDEN
Auch interessant
MiGDISKUTIEREN (Bitte die Netiquette beachten.)

  1. urbuerger sagt:

    Ist ist nicht Zielführend, immer nur zu fordern, dass solche Exponate, die auf die Benachteiligungen anderer Volksgruppen verweisen, wegzuschließen, denn das Mantra
    „Aus den Augen aus dem Sinn“ zeigt niemanden auf, um was es eigentlich geht!

    Die Idee, die Exponate, welche die Wiedersprfhe auslösen, mit den nötigen Erklärungen auszustellen und damit die Diskussion zu der Thematik zu ermöglichen, halte ich persönlich für interessant!
    Nur eines sollte man dabei auch beachten, man sollte die unterschiedlichen Gruppen, Schwarze und Weiße, auch zu einer direkten Diskussionsrunde einladen, um die unterschiedlichen Sichtweisen klar darzustellen und vor allem auch die Schwarzen erklären lassen, weshalb es ihnen regelrecht Weh tut, immer wieder an die Zeiten der Unterdrückung erinnert zu werden, sei es auch „nur“ durch Spielzeuge!

    Es muss aber auch sehr darauf geachtet werden, dass der Versuch der Aufarbeitung nicht von Menschen gekapert wird, welche sich der populistischen Meinungsmache gegen solche Veranstaltungen bedienen, in dem sie sie zu einer falschen Schuldzuweisung umformulieren, so wie das schon mehrfach gemacht wurde!!!