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Die Ärgermacher

„Wer fragt nach, was mit den Flüchtlingen passiert?“

Die ARD-Sendung ging konservativen Politikern von Beginn an auf die Nerven. Den Mächtigen auf die Finger zu schauen, ist bis heute Anspruch und Markenzeichen des NDR-Magazins geblieben, etwa wenn es um Flüchtlingspolitik oder um Rechtsextremismus geht.

Von Mittwoch, 02.06.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 01.06.2021, 14:53 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

„Panorama“ ist nicht das erste, aber das älteste Politikmagazin im deutschen Fernsehen. Und es hatte eine schwere Geburt. Was da am 4. Juni 1961 auf dem Bildschirm in Schwarz-Weiß Premiere feierte, war ein ziemlich unverdaulicher Kessel Buntes aus aktueller Politik, Auslandsreportage und Unterhaltung. Das junge Medium Fernsehen übte noch, wie das vom Norddeutschen Rundfunk (NDR) online bereitgestellte Video belegt: steife Interviews, altbackene Kommentare und von gemeinsamer Bildsprache oder durchdachter Dramaturgie ist nichts zu erkennen. Die Krönung war eine verstörende Reportage über Derwische in der Türkei, in der ausdauernd gezeigt wird, wie sich die Männer in religiöser Trance selbst verletzen.

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Doch schon wenige Wochen später hatte „Panorama“ seine erste Sternstunde. Am Tag des Mauerbaus in Berlin, am 13. August 1961, glänzte die Redaktion mit aktuellen Schalten in verschiedene Hauptstädte, allerdings vor einem noch überschaubaren Publikum bei ARD2, dem damals zweiten Fernseh-Programm in Deutschland. ARD2 sendete vom 1. Juni 1961 bis zur Gründung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) im April 1963. Nach zwei Jahren war „Panorama“ der regierenden CDU bereits derart auf die Nerven gegangen, dass die Partei-Vertreter in den NDR-Gremien die Verlängerung des Vertrags von Redaktionsleiter Gert von Paczensky blockierten. Es sollte nicht der letzte Versuch der Politik bleiben, kritischen Journalismus in öffentlich-rechtlichen Medien zu stutzen.

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Missfallen bei Konservativen

„Nun wollen wir uns noch ein wenig mit der Bundesregierung anlegen“, hatte von Paczensky im April 1963 einen Beitrag mit selbstbewusster Ironie anmoderiert. Doch das Adenauer-Deutschland war von lebendiger Debattenkultur weit entfernt. Dem Redaktionsleiter wurde insbesondere übel genommen, dass „Panorama“ die Kritik am Vorgehen der Bundesregierung in der „Spiegel-Affäre“ 1962 in die Öffentlichkeit getragen hatte. 1978 kündigte Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg (CDU) sogar den NDR-Staatsvertrag. Die Berichterstattung zum Bau des Atomkraftwerks Brokdorf missfiel dem Konservativen, der „Panorama“ eine „Überbetonung sogenannter linker gesellschaftskritischer Positionen“ vorwarf.

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Für die Sendung arbeiteten namhafte Journalistinnen und Journalisten wie Sebastian Haffner, Peter Merseburger, Joachim Fest, Luc Jochimsen, Stefan Aust und Gerd Ruge.

Den Mächtigen auf die Finger schauen

Den Mächtigen auf die Finger schauen und sich im Zweifel mit ihnen „noch ein wenig anlegen“ ist bis heute Anspruch und Markenzeichen von „Panorama“ geblieben. Allerdings haben sich Medienwelt und Öffentlichkeit grundlegend gewandelt, der NDR hat darauf auch mit weiteren Formaten reagiert, mit „Panorama – Die Reporter“ und „Panorama 3“ im dritten Programm sowie „Strg_F“ bei Funk, dem ARD/ZDF-Netzwerk für das junge Publikum. Mit 760.000 Abonnenten zählt „Strg_F“ zu den erfolgreichsten Kanälen von Funk. 2020 erhielt der für „Panorama“ und „Strg_F“ produzierte Dokumentarfilm „SeaWatch 3“ über die Mission des Seenotrettungsschiffs mit Kapitänin Carola Rackete einen Grimme-Preis.

In den vergangenen Monaten war die Corona-Pandemie Thema Nummer eins, aber zum „Panorama“-Profil gehört auch regelmäßige Berichterstattung über rechtsextreme Netzwerke. Anja Reschke ist seit 20 Jahren Gesicht und Stimme von „Panorama“ und nicht erst seit ihrem „Tagesthemen“-Kommentar zum Thema Flüchtlinge im Jahr 2015 Zielscheibe von Hass. Dem Evangelischen Pressedienst sagte sie: „Die ersten zehn Jahre waren relativ harmlos, aber heute würde ich jedem, der die Moderation eines solchen Magazins übernimmt, sagen: Nimm es nicht zu leicht. Du stehst im Feuer. Du bist das Gesicht, die Figur, an der sich die Recherchen und oft auch politische Meinungen entladen. Das ist heute stärker als vor 20 Jahren.“

Wer fragt nach den Flüchtlingen?

Wenn man etwas sage, müsse man auch aushalten, dass es Gegenwind gibt. „Aber es geht oft gar nicht darum, eine Debatte anzuregen, sondern es geht ums Rechthaben und Niedermachen. Es ist sehr einfach, in den sozialen Medien Empörung stattfinden zu lassen und Aufregung zu entfachen. Es ist nicht so einfach, differenziert zu diskutieren oder verschiedene Perspektiven darzulegen. Es geht immer nur darum: Bist du dafür oder dagegen, auf welcher Seite stehst Du? Das hat bestimmt dazu geführt, dass ich mich heute in den sozialen Medien seltener mit einem klaren Statement äußere“, so Reschke.

Die insbesondere durch die sozialen Medien beschleunigten Empörungswellen über die vermeintlichen „Staatsmedien“ in den öffentlich-rechtlichen Sendern treffen auch „Panorama“, obwohl das Magazin nach wie vor mit Regierenden kritisch ins Gericht geht und etwa über die Rolle des ehemaligen Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD) im Cum-Ex-Skandal recherchierte. Es gebe heute nicht mehr viele, die diesen „kritischen hinterfragenden Journalismus machen: Wer fragt nach, was mit den Flüchtlingen in Libyen passiert, die da hängen bleiben? Wer fragt nach, wie weit die Wirtschaft geschont wird bei den Corona-Maßnahmen? Den Verantwortlichen da auf den Nerv zu gehen, das ist Aufgabe der politischen Magazine. Daher finde ich, dass sie genauso wichtig sind wie zu Beginn.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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