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Bilder aus der neuen Heimat

Kölner Museum Ludwig zeigt Fotogeschichten zur Migration

Eine Ausstellung im Kölner Museum Ludwig erzählt ab Samstag die Geschichte von Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik erstmals anhand privater Fotografien. Die Aufnahmen zeigen die Lebenswelt von Einwanderern in den Jahren 1955 bis 1989.

Von Freitag, 18.06.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.06.2021, 14:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Strahlend posiert Onur Dülger vor dem Ford-Arbeiterwohnheim in Köln-Buchheim. Er macht den Eindruck eines Mannes, der es geschafft hat. Tatsächlich heiratete der türkische Arbeiter an diesem sonnigen Dezembertag im Jahr 1965 seine deutsche Frau Monika. Allerdings waren die Verhältnisse nicht so rosig wie das Foto glauben macht. Die Trauung fand ohne Verwandte statt. „Monikas Eltern haben sie abgelehnt, weil sie einen Ausländer heiraten wollte“, erinnert sich Dülger. Und eine eigene Wohnung hatte das Paar zunächst auch noch nicht.

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Dülger ist einer von 16 Migrantinnen und Migranten, die ihre Geschichte für die neue Fotografie-Ausstellung im Museum Ludwig  anhand privater Aufnahmen aus den Jahren zwischen 1955 und 1989 erzählen. Unter dem Titel „Vor Ort: Fotogeschichten zur Migration“ sind bis zum 3. Oktober rund 500 Fotografien, Tondokumente sowie Videointerviews zu sehen. Im Mittelpunkt stehen die Lebensgeschichten von Migrantinnen und Migranten in Köln und anderen Städten im Rheinland und im Ruhrgebiet. Die Migrantinnen und Migranten äußern sich in Interviews zu den Aufnahmen und berichten aus ihren Erinnerungen an ihre ersten Jahre in Deutschland.

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Private Aufnahmen im Mittelpunkt

Erstmals stehen damit private Aufnahmen im Mittelpunkt einer Foto-Ausstellung, die in Kooperation mit DOMID, dem Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland entstanden ist. Zwar haben sich auch professionelle Fotografen dem Thema gewidmet. So zeigt die Schau auch Fotografien von Chargesheimer, Candida Höfer und Ulrich Tillmann, Christel Fomm, Gernot Huber und Günay Ulutunçok. „Man kann die Geschichte aber nur mit Hilfe der Privatfotografien ganz erzählen“, sagt Kuratorin Barbara Engelbach.

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Denn nur sie dokumentieren den Blick der Einwanderer auf ihre neue Umgebung. „Die Fotografie spielt als Strategie der Verortung in der neuen Umgebung eine große Rolle“, stellt Engelbach fest. Bei den Privatfotografien handele es sich nicht um schnelle Schnappschüsse, sondern in der Regel um sorgfältig inszenierte Bilder mit einer performativen Wirkung. Sie zeigten, wie sich die Einwanderer in der neuen Umgebung sehen wollten. Als Kulisse dienten oftmals Parks oder das Rheinufer. Da drapierte sich etwa Ali Kanatlı mit drei Freunden vor Blumenrabatten am Aachener Weiher. Necla Türköz lässt sich mit ihren beiden Kindern und Freundinnen 1972 bei einer Rheinfahrt ablichten.

Winzige Wohnungen und Wuchermieten

„Die schlechten Wohnbedingungen tauchen in den Privatfotos nicht auf“, sagt Engelbach. Tatsächlich waren die Migrantinnen und Migranten meist vom Markt guter, bezahlbarer Wohnungen ausgeschlossen und lebten oft in sanierungsbedürftigen Häusern. Häufig teilten sich auch mehrere Familien eine Wohnung. So etwa die Familien Türköz und Üçgüler, die im Kölner Agnesviertel lebten. Ein Foto zeigt die Familien beim fröhlichen gemeinsamen Essen am gedeckten Tisch. Wie beengt die Verhältnisse wirklich waren, ist dabei nicht zu erkennen.

Den nüchternen Blick auf die Lebensverhältnisse der Einwanderer zeigen hingegen Fotografien von Chargesheimer aus dem Kölner Eigelstein-Viertel. Jörg Boström fotografierte das heruntergekommene Viertel Duisburg-Bruckhausen, wo viele Migranten in baufälligen Arbeiterhäusern vor der Kulisse qualmender Schornsteine lebten. Gernot Huber dokumentierte winzige Wohnungen, die Hauseigentümer zu Wucherpreisen an Einwanderer vermieteten.

Vereine, Streiks & NSU

In den 70er Jahren beginnen Migrantinnen und Migranten, sich aktiv für die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse einzusetzen und sich in Vereinen zu organisieren. In ganz Deutschland kommt es zu Streiks sogenannter Gastarbeiter für gerechtere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Eine kurze Filmdokumentation zeigt Aufnahmen vom Streik ausländischer Arbeiterinnen beim Neusser Autozulieferer Pierburg.

Die Anfeindungen gegen Migranten und das Wiederaufkeimen des Rechtsextremismus thematisiert die Ausstellung mit einem Blick auf die Kölner Keupstraße, wo die rechtsterroristische Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 2004 einen Nagelbombenanschlag auf Geschäftsleute mit ausländischen Wurzeln verübte. Am Jahrestag des Anschlags drehte Mitat Özdemir 2018 ein Video, in dem er sich zum Gedenken an die Opfer eine Minute lang auf die Fahrbahn stellte und den Verkehr aufhielt. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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