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Gott aus dem Häuschen

Vertane Großchance im Kampf gegen Antisemitismus

Kürzlich nahm das "Kulturforum Görlitzer Synagoge" seinen Betrieb auf. Workshops, Kongresse, Lesungen und Konzerte wird es geben in dem ehemaligen jüdischen Gotteshaus – Gebete nur gelegentlich. Ein blamables Zeichen deutscher Kleingeistigkeit.

Von Montag, 26.07.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 25.07.2021, 18:01 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Am Anfang, so berichtet uns das Buch der Bücher, war das Wort. Am Anfang des ersten Kapitels für das neue Kulturforum Görlitzer Synagoge war das Wort aber nicht bei Gott oder einem seiner Stellvertreter, sondern bei Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie war zusammen mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und vielen Gemeinplätzen im Rednergepäck in die Neißestadt gekommen, um zur Eröffnungsfeier der sanierten Jugendstilsynagoge symbolgetränkte Botschaften zu verkünden: „Dieses Wiederaufblühen jüdischer Kultur ist das größte Geschenk in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Geschenk ist auch das Vertrauen, das Jüdinnen und Juden in Deutschland setzen: das Vertrauen darauf, hier sowohl willkommen als auch sicher zu sein; das Vertrauen darauf, dass jüdisches Leben sich in Deutschland frei entfalten kann.“

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In Görlitz endet die freie Entfaltung des jüdischen Lebens allerdings geschwind an den Grenzen der Kostenkalkulationen und Zielgruppenkonzepten. Denn wenn Frau Grütters von einem Ort jüdischen Lebens spricht, meint sie eigentlich einen Kuppelsaal, der laut Online-Preisliste für 600 Euro am Tag zu mieten ist, Besuchergarderobe mit Schließfächern, Grundbeleuchtung und Toilettenanlagen inklusive. Ein Seminarraum mit Teeküche ist schon für günstige 30 Euro die Stunde zu haben. Das Gebäude am Görlitzer Stadtpark soll nämlich in erster Linie kein Ort jüdischen Lebens sein, sondern eine profane Location, in dem Kongresse, Lesungen und Konzerte stattfinden, selbstverständlich alles dem Charakter des Hauses angemessen. Wären also Tante Tillis Geburtstagsfeier ebenso ausgeschlossen wie Dermatologen-Kongresse oder Treffen der AfD-Ortsgruppe, immerhin die stärkste Partei im Görlitzer Stadtrat? Im September wird erst einmal Joachim Gauck sein neuestes Buch „Toleranz – einfach schwer“ vorstellen und erklären, wie viel Andersartigkeit man seiner Ansicht nach erdulden kann.

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„Gott wurde zwangsgeräumt, und der jüdischen Gemeinde soll lediglich die Wochentagssynagoge, ein Raum hinter dem Kuppelsaal zur Verfügung stehen. Ein freier Zugang zum Gebäude wird ihren Mitgliedern nicht gewährt, und Thora-Rollen wird es dort auch nicht geben.“

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12,6 Millionen Euro hat die Sanierung des Synagogenbaus gekostet. Als künftiger Betreiber dieser besonderen Location sieht sich die städtische Kulturservicegesellschaft daher in der Pflicht, Erträge zu erwirtschaften und forciert die kommerzielle Nutzung. Ein alter biblischer Gott richtet gegen solche betriebswirtschaftlichen Zwänge nichts mehr aus. Nicht einmal klagen könnte er darüber, dass sogar seinen Häusern ein Preisschild umgehängt wird, denn wie der Davidstern auf der Kuppel fehlt auch die ursprüngliche Inschrift über der Mitteltür „Bauet mir ein Heiligtum, dann werde ich in eurer Mitte wohnen (Exodus 25,8)“. Obwohl im Inneren der Synagoge ihr Originalzustand weitgehend rekonstruiert wurde und man nur wenige Spuren der Zerstörung als beabsichtigte Mahnzeichen sichtbar ließ, blieb die Tafel über dem Hauptportal leer. Gott wurde zwangsgeräumt, und der jüdischen Gemeinde soll lediglich die Wochentagssynagoge, ein Raum hinter dem Kuppelsaal zur Verfügung stehen. Ein freier Zugang zum Gebäude wird ihren Mitgliedern nicht gewährt, und Thora-Rollen wird es dort auch nicht geben. Ihre dauerhafte Anwesenheit, so die Stadtverwaltung, würde das Haus zur Synagoge weihen und damit eine säkulare Nutzung des Gebäudes unmöglich machen. Und? Nicht alles was hinkt, taugt zum Vergleich, aber beim Aufbau der Dresdner Frauenkirche stand schließlich auch nie zur Debatte, dass sie wieder zur Kirche geweiht würde. Fängt Antisemitismus vielleicht da an, wo man Juden um etwas beneidet, was man anderen gönnt?

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Die Synagoge in Görlitz © Hans Peter Schaefer, reserv-art.de, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

In Görlitz wird sogar die Existenz einer Gemeinde angezweifelt. So viele Juden gäbe es schließlich nicht in der Stadt. Zehn jüdische Männer, in liberaleren Gemeinden können es auch Frauen sein, sind nötig, um einen Gottesdienst zu führen. Damit wäre die liturgische Voraussetzung erfüllt, aber ab welcher Größe wäre eine Gemeinde groß genug, um auch den bürokratischen Regeln der Stadt Görlitz zu genügen, und dürfen Juden, die in Zgorzelec, dem polnischen Teil der Stadt auf der anderen Seite der Neiße, oder in Niederschlesien wohnen sich der Görlitzer Gemeinde zugehörig fühlen? Gesteht man den in der weltweiten Diaspora lebenden Nachfahren Görlitzer Juden wenn schon keinen rechtlichen nicht wenigstens einen moralischen Anspruch zu?

„Mit Blick auf die Geschichte der Görlitzer Synagoge erscheint der weitgehende Ausschluss der Juden aus dem Kulturforum nicht nur ungeheuer kleingeistig und peinlich, sondern schamlos.“

Mit Blick auf die Geschichte der Görlitzer Synagoge erscheint der weitgehende Ausschluss der Juden aus dem Kulturforum nicht nur ungeheuer kleingeistig und peinlich, sondern schamlos. Juden lebten seit dem 14. Jahrhundert in Görlitz, doch in der Mitte der Gesellschaft angekommen fühlen sie sich erst, als sie am 7. März 1911 ihr neues Gotteshaus in bester Stadtlage einweihen konnten. 27 Jahre später überstand die Görlitzer als eine der wenigen großen Synagogen Deutschlands den Brandanschlag in der Pogromnacht am 9. November 1938 beinahe unversehrt, weil die Feuerwehr trotz anderslautendem Befehl zum Löscheinsatz ausrückte. Warum weiß niemand genau zu sagen. Die Verschonung ihrer Synagoge änderte jedoch nichts daran, dass sich die Entrechtung von Juden auch in Görlitz fortsetzte. Ihre Geschäfte und Betriebe wurden arisiert. Ihre leeren Wohnungen gingen zu Schleuderpreisen an Görlitzer Bürger. Ebenfalls deutlich unter Wert kaufte der Görlitzer Stadtrat im Jahr 1939 die Synagoge, die nach dem Krieg von der sowjetischen Besatzungsmacht an die jüdische Gemeinde in Dresden übertragen wurde. Wer hätte sie in Görlitz auch nutzen sollen?

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Synagoge in Görlitz © bildbaendiger/AutorThomas Schneider

Alle Juden, die Ende 1941 noch in der Stadt waren, wurden in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Die kleine Dresdner Gemeinde konnte den Unterhalt für das Gebäude nicht finanzieren. Nach mehrjährigen Verhandlungen kaufte die Stadt Görlitz die Synagoge 1963 deshalb wieder zurück, erklärte sie zum Kulturdenkmal, ließ sie aber anschließend verfallen. Die Jewish Claims Conference, ein Zusammenschluss jüdischer Organisationen zur Durchsetzung von Ansprüchen jüdischer NS-Opfer, forderte 1994 zwar die Rückübertragung der Synagoge, verzichtete letztlich jedoch zugunsten von Entschädigungszahlungen auf jegliche Besitzansprüche. Erst als das Haus im Jahr 2012 zum Baudenkmal von nationaler Bedeutung erklärt wurde, fühlten sich Bund und Freistaat Sachsen legitimiert, Gelder fließen zu lassen. So begannen umfangreiche Sanierungsmaßnahmen, damit in der Kulisse einer ehemaligen Synagoge ein prächtiger Veranstaltungsort entstehen konnte.

„Erst wurde Görlitzer Juden ihr Besitz genommen, dann ihr Leben, aber wenn sie ihre Synagoge heute zurückhaben möchten, sollen sie sich das ruhig etwas kosten lassen.“

Wenn heute nur die halbnackte Wahrheit erzählt wird, um zu betonen, dass immerhin schon zweimal für das Gebäude gezahlt wurde, ist das dann unangebrachter Zynismus, dumme Selbstentlarvung oder Demenz auf Knopfdruck? Erst wurde Görlitzer Juden ihr Besitz genommen, dann ihr Leben, aber wenn sie ihre Synagoge heute zurückhaben möchten, sollen sie sich das ruhig etwas kosten lassen. An dieser Einstellung scheiterte 2007 ein erster Versuch des wenige Jahre zuvor gegründeten Vereins Jüdische Gemeinde Görlitz e.V., aus dem Gebäude wieder einen sakralen Ort zu machen. Artikel in der Sächsischen Zeitung aus jener Zeit zitieren einen Görlitzer CDU-Politiker mit den Worten, das unangemessen niedrige Kaufangebot der jüdischen Gemeinde entspräche zwar der „sprichwörtlichen jüdischen Geschäftstüchtigkeit“, für „einen Apfel und ein Ei“ werde jedoch nicht verkauft. Verbale Flammenwerfer. Ob mit der Synagoge auch die Haltung saniert wurde?

2021 wird bundesweit das Jubiläum 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert, einfach bloß existieren dürfen jüdische Orte aber offenbar nicht. Das Beispiel Görlitz zeigt, dass sie sich weiterhin als Objekte der Erinnerungskultur vereinnahmen lassen müssen. Kulturort, Bildungsstätte, Mahnmal sollen sie sein, damit die politische Alchemie, die das Blei des Holocausts in das Gold des Gedenkens verwandeln will, funktionieren kann. Mit welcher Berechtigung? Deutschland hat eine Verpflichtung allen Jüdinnen und Juden gegenüber, nicht umgekehrt. Nicht jede Synagoge muss mit einer Gedenkfunktion verknüpft werden, damit Deutsche ihre Vergangenheit bewältigen und Schuldgefühle therapieren können. Eine mietbare Mehrzweckhalle mit sakralem Ambiente kann kaum das Zeichen gegen den seit Jahren erstarkenden Judenhass sein, das Kulturstaatsministerin Grütters in ihrer Eröffnungsrede forderte, damit wir das Vertrauen, das Jüdinnen und Juden uns schenken, nicht enttäuschen. Zur Moralmobilisierung tauglicher und als projüdisches Bekenntnis glaubwürdiger wird es sein, wenn die Kuppel des Kulturforums demnächst wieder einen Davidstern trägt. Darauf hat sich der Görlitzer Stadtrat nach langer Debatte inzwischen verständigen können. Die dafür vorgesehenen Spenden von 70.000 Euro wurden von der jüdischen Gemeinde gesammelt.  Wie bei einem chemischen Element, das bildlich gesprochen noch freie Stellen hat, an der andere Teilchen andocken müssen, um die Verbindung zu vervollständigen, wäre die Synagoge mit Davidstern immerhin äußerlich wieder komplett. Er wird weithin sichtbar verkünden: Hier waren Juden zu Hause, hier werden sie es auch wieder sein.

  Leitartikel Panorama

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