"Geschichtsvergessenheit"
Kritik an Radrennen-Plänen durch KZ-Gedenkstätte Buchenwald
Die „Deutschland Tour“ soll über die „Blutstraße“ des ehemaligen KZ Buchenwald führen. Den Veranstaltern wird Geschichtsvergessenheit und mangelnde Sensibilität vorgeworfen. 1937 führte schon einmal eine internationale Radtour durch Weimar.
Donnerstag, 05.08.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.08.2021, 17:32 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Das Straßen-Radrennen „Deutschland Tour“ sorgt wegen der Streckenführung im Bereich der KZ-Gedenkstätte Buchenwald für Empörung. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) forderte am Mittwoch eine Verlegung des Tourabschnitts am Ettersberg bei Weimar. „Die ‚Blutstraße‘ ist kein Ort für eine Sportveranstaltung“, erklärte Maier auf Twitter. Auch der Zentralrat der Juden und die Gedenkstätte kritisierten die Verantwortlichen scharf. Der Veranstalter betonte, die „Deutschland Tour“ führe über öffentliche Straßen.
Die Strecke sei vor mehr als einem Jahr geplant und behördlich besprochen worden, sagte ein Sprecher der „Deutschland Tour“. Die Tour präsentiere „die natürliche, kulturelle und historische Vielfalt der Republik“. Dass die Strecke in diesem Jahr an der Gedenkstätte vorbeiführe, entspreche diesem Anspruch. Das Thüringer Wirtschaftsministerium erklärte, die Streckenplanung liege beim Veranstalter. Das Ministerium bedauere, dass nicht früher direkte Gespräche geführt worden seien.
„Das Event geht über die Blutstraße vorbei an Massengräbern und Mahnmal“, zitiert das Boulevardblatt „Bild“ (online) Gedenkstättenleiter Jens-Christian Wagner. Das Blatt hatte zuerst über den Fall berichtet. Die Gedenkstätte sei nicht in die Planungen einbezogen worden. „Bei der Planung der Strecke haben sowohl Verantwortliche der Stadt Weimar als auch der Veranstalter jegliches Gespür für die Geschichte vermissen lassen“, zitiert „Bild“ den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Eine Radtour dort entlang zu führen, sei pietätlos gegenüber den Opfern.
Gedenkstättensprecher Rikola-Gunnar Lüttgenau sagte dem „Evangelischen Pressedienst“, die Gedenkstätte habe erst im Juli von der Streckenplanung erfahren, als die Anrainer darüber informiert wurden, dass die Straße für den Besucherverkehr gesperrt werde. Einer Bitte um Verlegung der Strecke sei der Veranstalter nicht nachgekommen. Die zunächst auf dem Parkplatz der Gedenkstätte geplante Bergwertung sei jedoch an einen anderen Ort verlegt worden.
Etappe über Weimar
Die zweite Etappe des Radrennens vom 26. bis 29. August soll durch den Bereich des früheren KZ Buchenwald führen, das ab 1937 auf dem Ettersberg bei Weimar errichtet wurde. Bis zur Befreiung 1945 waren dort und in 139 Außenlagern insgesamt knapp 280.000 Menschen inhaftiert. Mehr als 56.000 Häftlinge wurden ermordet oder starben auf andere Weise.
Lüttgenau sagte, es könne durchaus angemessene Formen der Auseinandersetzung mit der Geschichte von Buchenwald auch im Rahmen sportlicher Veranstaltungen geben. Dazu müssten jedoch vorher Gespräche geführt werden, betonte der Sprecher der Gedenkstätte: „Das hat nicht stattgefunden.“
Radrennen 1937
Die Geschichte des Konzentrationslagers habe auch Bezüge zum Radsport. Ein internationales Deutschland-Radrennen habe im Jahr der Errichtung des Konzentrationslagers 1937 auch durch Weimar geführt, berichtete Lüttgenau. Im KZ Buchenwald seien unter anderem belgische und französische Radprofis inhaftiert gewesen und zum Teil ums Leben gekommen. Besonders tragisch sei der Fall eines belgischen Radprofis, der bei der Befreiung nur noch 35 Kilogramm gewogen habe und kurz darauf in Belgien gestorben sei.
All dies sei bei der bisherigen Planung nicht in Betracht gezogen worden, sagte Lüttgenau. Die Gedenkstätte werde nun selbst recherchierte Beiträge zum Thema auf ihren Kanälen veröffentlichen. Mit dem Tour-Veranstalter sei vereinbart, diese dann auch auf dessen Kanälen weiterzuverbreiten. Inzwischen gebe es „recht konstruktive Gespräche“, twitterte die Gedenkstätte am Mittwoch. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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