Die Kipp-Punkte der Erde
Fragen und Antworten zum Klimawandel
In der Debatte über den Klimawandel ist häufig von Kipp-Punkten die Rede. Worum es dabei geht, und weshalb bestimmte Entwicklungen unumkehrbar sind, erklärt das MiGAZIN.
Von Mey Dudin Dienstag, 10.08.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.08.2021, 16:26 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Was sind Kipp-Punkte?
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung vergleicht sogenannte Kipp-Elemente des Erdsystems mit Organen des menschlichen Körpers. Wenn Organe zum Beispiel nicht mehr genügend Sauerstoff bekommen, verändern sie entweder ihre Funktionsweise dramatisch oder stellen die Funktion komplett ein. Auf der Erde ist es mit den Kipp-Elementen ähnlich, wenn der Klimawandel sie nahe an einen Schwellenwert bringt: Kommt es dann noch zu einer kleinen, externen Störung, kann es zu abrupten, weitreichenden und oft unumkehrbaren Schäden kommen. In einem solchen Fall wird ein Kipp-Punkt überschritten.
Was sind Kipp-Elemente der Erde?
Eisschilde am Nordpol und am Südpol gehören dazu sowie das Arktische Meereis. Auch tropische Korallenriffe und der Amazonas-Regenwald sind entscheidend für das Klima, ebenso wie die großen Nadelwälder des Nordens, die sogenannten Borealwälder. Der Jetstream, der starke Höhenwind von West nach Ost, ist ein Kippelement sowie in Eis eingeschlossenes Methan auf dem Meeresgrund, das bei steigenden Wassertemperaturen im Ozean freigesetzt werden und aufsteigen könnte. Das verheerendste Szenario in Bezug auf die Kipp-Elemente ist, dass eine dominoartige Kettenreaktion ausgelöst wird, eine „Kipp-Kaskade“, die das Erdsystem in eine neue Heißzeit katapultieren könnte.
Wie ist die Situation an Nord- und Südpol?
Am Nordpol schwindet das Eis rasend schnell: Das arktische Meereis wird weniger und dünner. Hier sind Kipp-Punkte wahrscheinlich schon überschritten. Auch am Südpol könnten Eisschilde oder Teile davon zerfallen. Wenn das helle Eis verschwindet, kommen dunklere Felsen oder Meer zum Vorschein, die mehr Sonnenwärme aufnehmen, anstatt Sonnenstrahlung zu reflektieren. Das beschleunigt den Schwund des Eises weiter. Die Folge sind höhere lokale Temperaturen und ein Anstieg des Meeresspiegels. Wenn dazu noch in Eis eingeschlossenes Methan freigesetzt wird, kommen weitere Treibhausgase in die Atmosphäre.
Wie verändern sich Luft- und Meeresströmungen?
Verantwortlich für das milde Klima in Nordwest-Europa ist der Golfstrom. Angetrieben wird er im Wesentlichen durch das kalte, dichte Salzwasser, welches vor Grönland und dem kanadischen Labrador in die Tiefe sinkt. Kommt aber durch schmelzende Gletscher im Norden mehr Süßwasser hinzu, wird die Dichte des Wassers geringer, es sinkt langsamer, und der Motor des Golfstroms erlahmt. Da diese Zirkulation warme Wassermassen unter anderem nach Europa trägt, kann diese Entwicklung zu einer Abkühlung im Nordatlantikraum führen. Weitere Störungen sind beim Wetterphänomen El Niño spürbar sowie beim Jetstream.
Wie ist die Situation der wichtigen Ökosysteme?
Als grüne Lunge des Planeten gilt der Amazonas-Regenwald, der eine Fläche umfasst, die etwa so groß ist wie die USA. Wegen des Klimawandels und der Abholzung – meist illegal und zugunsten der Landwirtschaft – ist der Wald bedroht. Denn die meisten Niederschläge im Amazonasbecken stammen aus Wasser, das über dem Wald verdunstet ist. Geht der Niederschlag aber wegen Erderwärmung, Abholzung und Bränden zurück, könnte der Wald zu weiten Teilen austrocknen. Bedroht sind auch die borealen Wälder des Nordens. Verheerend ist zudem der Zustand der tropischen Korallenriffe.
Wann gilt ein Kipp-Punkt als überschritten?
Das kann nicht mit absoluter Sicherheit gesagt werden, aber es gibt Anhaltspunkte anhand von Beobachtungsdaten wie örtlichen Temperaturen oder zum Beispiel dem Abbruch großer Eismassen. Beim australischen Great Barrier Reef ist die Korallenbleiche so weit fortgeschritten, dass es womöglich schon irreversibel geschädigt ist. Selbst wenn das Meer sich wieder abkühlen würde, ändert das nichts mehr.
Wie schnell muss gehandelt werden?
Das Klimasystem ist träge und reagiert langsam. Um die Risiken, die die Erderwärmung mit sich bringt, zu mindern, muss Klimaforschern zufolge so schnell wie möglich so viel wie möglich getan werden. (epd/mig) Aktuell Panorama
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