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Gespräch mit Abdul Ghafoor

Abschiebungen nach Afghanistan kommen einem Todesurteil gleich

Vor drei Wochen ist der afghanische Menschenrechtler Abdul Ghafoor mit einem Flugzeug der Bundeswehr aus Afghanistan evakuiert worden. Ghafoor ist Direktor der Organisation Amaso, die sich in Afghanistan um abgeschobene und freiwillig zurückgekehrte Migranten kümmert. Auch diese Menschen seien nach der Machtübernahme der Taliban in Gefahr, sagte der 35-Jährige im Gespräch.

Von Montag, 06.09.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 05.09.2021, 11:36 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nach der Machtübernahme der Taliban haben Sie am 17. August mit einem Evakuierungsflug der Bundeswehr Afghanistan verlassen. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

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Abdul Ghafoor: Es war furchtbar. Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich meine Heimat verlassen musste. Ich war dafür nicht bereit. Eigentlich sollte ich gerade in meinem Büro sitzen und meiner Arbeit nachgehen. Obwohl ich schon vor der Machtübernahme der Taliban bedroht wurde, kam Aufgeben für mich nie infrage. Aber unter den Taliban konnte ich auf keinen Fall bleiben, das wäre für mich und meine Kollegen zu gefährlich. Am Flughafen von Kabul musste ich mit Tausenden anderen Menschen knapp zwölf Stunden warten, bis ich durchgelassen wurde. Mit dem Flugzeug wurde ich dann nach Taschkent gebracht. Von dort ging es weiter nach Frankfurt und schließlich nach Hamburg. Inzwischen bin ich in Kassel untergekommen und arbeite von dort.

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Die Bilder vom Flughafen von Kabul, wo Tausende Afghaninnen und Afghanen versucht haben, aus dem Land zu kommen, gingen um die Welt. Wie viele Menschen wurden zurückgelassen?

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„Zu viele schutzbedürftige Menschen haben es nicht aus dem Land geschafft.“

Zu viele schutzbedürftige Menschen haben es nicht aus dem Land geschafft. Nicht alle Afghaninnen und Afghanen werden gleichermaßen von den Taliban bedroht. Vor allem Medienschaffende, Aktivistinnen und Aktivisten, weibliche Mitglieder der Sicherheitskräfte oder ethnische Minderheiten wie die Hazara sind in Gefahr. Die Taliban zeigen bereits jetzt ihr wahres Gesicht. Anfang der Woche haben sie 14 Hazara getötet. Sie waren Kämpfer und hatten sich ergeben. Es passiert viel, und niemand weiß, wie die Zukunft des Landes unter den Taliban aussieht.

Kennen Sie Menschen, die es nicht mehr aus dem Land geschafft haben?

Ja, ich kenne viele Menschen, die in Afghanistan feststecken. Ich erhalte jeden Tag Dutzende Nachrichten, Emails und Anrufe von Menschen, die um Rat fragen, wie sie das Land verlassen können – vor allem von Afghaninnen und Afghanen, die Teil der Sicherheitskräfte waren oder für zivilgesellschaftliche Organisationen gearbeitet haben.

Welche Möglichkeiten haben gefährdete Afghaninnen und Afghanen noch, das Land zu verlassen, nachdem die Evakuierungsmissionen beendet wurden?

Es gibt kaum noch Wege. Der Flughafen von Kabul ist nicht in Betrieb, man kommt also nur noch auf dem Landweg aus Afghanistan. Fangen wir mit Pakistan an: Theoretisch kann man Pakistan erreichen. Aber Mitglieder der Hazara werden auf dem Weg von den Taliban gestoppt. Ich kenne auch Menschen, die nicht nach Pakistan hereingelassen wurden. An der Grenze zum Iran warten Tausende Menschen und werden nicht durchgelassen. Auch nach Usbekistan dürfen nur Afghaninnen und Afghanen mit einem Visum einreisen.

„Wer versucht, in ein Nachbarland zu kommen, kann auf dem Weg jederzeit von den Taliban gestoppt und mitgenommen werden.“

Wer versucht, in ein Nachbarland zu kommen, kann auf dem Weg jederzeit von den Taliban gestoppt und mitgenommen werden. Den Taliban-Kämpfern wurde erzählt, Hazara seien Ungläubige und könnten getötet werden. Die Taliban werden andere Religionen und ethnische Minderheiten nicht akzeptieren. Viele schutzbedürftige Menschen sind in Afghanistan gefangen.

Ihre Organisation arbeitet mit afghanischen Migranten, die freiwillig aus dem Ausland zurückgekehrt sind oder nach Afghanistan abgeschoben wurden. Sind sie auch in Gefahr?

Die Taliban sehen die Rückkehrer als Verräter und Ungläubige. Sie sagen, wer in einem nicht-muslimischen Land gelebt hat, könnte seine Religion und seinen Lebensstil geändert haben. Möglicherweise hat man auch Alkohol getrunken, hatte Sex oder betet nicht mehr. Ich kriege viele E-Mails von Rückkehrern. Ich habe aber keine Lösung für sie. Die Evakuierung hat sich auf Botschaftsmitarbeiter, Übersetzer, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten konzentriert. Rückkehrer wurden von niemandem berücksichtigt. Es ist eine sehr gefährliche Situation für sie.

Bis vor kurzem hat Deutschland noch Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Diese Menschen sind also auch gefährdet?

„Rückführungen in Taliban-Gebiete kommen einem Todesurteil gleich.“

Nicht nur Afghanen, die vor kurzem abgeschoben wurden. Auch Menschen, deren Abschiebung schon länger zurückliegt, sind in Gefahr. Gemeinsam mit anderen Organisationen setze ich mich dafür ein, dass europäische Länder unter keinen Umständen Menschen nach Afghanistan abschieben, solange die Taliban an der Macht sind. Rückführungen in Taliban-Gebiete kommen einem Todesurteil gleich.

Die Taliban präsentieren sich seit der Machtübernahme sehr diplomatisch und gemäßigt. Bei ihren Pressekonferenzen haben sie betont, dass sie keine Rache wollen und niemand sich fürchten müsse. Glauben Sie ihnen?

„Als die Regierung von US-Präsident Joe Biden den Abzug verkündete, waren viele Menschen schockiert.“

Nein, ganz und gar nicht. Was sie der Welt und den Medien erzählen, stimmt nicht mit dem überein, was sie machen. Ich kenne viele Menschen, die untergetaucht sind, weil die Taliban jeden Tag ihre Wohnungen durchsuchen. Es gibt keine Amnestie, niemand ist sicher unter den Taliban. Alle versuchen herauszukommen, weil sie den Taliban nicht glauben.

Wie haben Sie den Abzug der westlichen Truppen aus Afghanistan wahrgenommen?

Schon im Jahr 2014, als viele Truppen das Land verlassen hatten, war Afghanistan nicht bereit, um auf eigenen Beinen zu stehen. Als die Regierung von US-Präsident Joe Biden den Abzug verkündete, waren viele Menschen schockiert. Es gab kein richtiges Abkommen und niemand wusste, was passiert. Selbst wenn sie gegenüber den Taliban aufgegeben hatten, hätte der Übergangsprozess weicher gestaltet werden können. Es ging einfach zu schnell. (epd/mig) Aktuell Ausland Interview

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