Wahlprüfsteine
Parteien uneins über Familiennachzug von ausländischen Ehegatten
Ausländische Ehegatten aus Drittstaaten müssen oft Jahre warten, ehe sie nach Deutschland einreisen können. An dieser Regelung sind schon viele Familien kaputtgegangen. Der Verband binationaler Familien hat die Parteien befragt, was Betroffene nach der Bundestagswahl erwartet.
Mittwoch, 08.09.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 07.09.2021, 22:40 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl diskutiert Deutschland über Mindestlohn, Steuererhöhung oder Klimawandel. Für manche sind die jeweiligen Spitzenkandidat:innen entscheidend: Scholz, Laschet oder Baerbock. Für nicht wenige Menschen in Deutschland ist der Familiennachzug nach Deutschland das einzig entscheidende Kriterium bei der Wahl. Denn sie warten teilweise viele Jahre darauf, dass ihre Ehefrauen oder Ehemänner nach Deutschland zu ihnen einreisen dürfen – oft vergeblich und mit desaströsem Ausgang für die Familie.
Eine der großen Hürden beim Familiennachzug ist der Sprachnachweis vor der Einreise. Betroffene müssen in einem der weltweiten Goethe-Institute einen Sprachtest ablegen und die erforderliche Punktzahl erreichen. Das Problem: „In vielen Ländern gibt es überhaupt keine Goethe-Institute und nur dort kann man einen Sprachnachweis erbringen und auch nur persönlich. Für viele unmöglich, das zu schaffen“, kritisiert die Bundesgeschäftsführerin des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften, Chrysovalantou Vangeltziki.
Ob Betroffenen ein Sprachkursangebot zur Verfügung steht oder ob sie persönlich verhindert sind, beispielsweise aufgrund ihres Alters, Analphabetismus, Behinderung oder Bildungsgrad, interessiert das Auswärtige Amt oft nicht, ebenso die hohen Durchfallquoten. Ausnahmen wurden widerwillig nach richterlichen Anordnungen eingeführt und kommen in der Praxis kaum zur Anwendung. Ohnehin gibt es nur wenige Gerichtsurteile. Zeichnet sich in einem Rechtsstreit eine Niederlage für das Auswärtige Amt ab, wird den Antragstellern nicht selten ein Last-Minute-Visum erteilt, um die Angelegenheit ohne Richterspruch und Referenzurteil für erledigt zu erklären. Kritiker werfen der Politik vor, diese juristisch fragwürdigen Sprachanforderungen als Instrument gegen ungewollte Einwanderung einzusetzen.
Worst Case für Tausende Familien
Der Verband binationaler Paare kritisiert, dass viele Ratsuchende derzeit in Afghanistan den „Worst Case“ für den Umgang mit Familienangehörigen aus Drittstaaten erleben. „Wir sehen die Bilder aus Afghanistan und wissen, dass viele Familienangehörige – Tausende – jetzt dort festsitzen, weil bürokratische Hürden es über Jahre verhinderten, dass sie zu ihren Familien nach Deutschland können“, erklärt Vangeltziki.
Deshalb hat der Verband im Vorfeld der Bundestagswahlen die Parteien nach ihren Positionen zum Familiennachzug gefragt. Die Antworten der Parteien, die dem MiGAZIN vorliegt, fallen sehr unterschiedlich aus. Während die Grünen und die Linke sich gegen den Nachweis von Sprachkenntnissen aussprechen, zeigt die SPD lediglich Verständnis für die schwierige Situation der Betroffenen. „Wir wollen, das liebenden Menschen keine großen Steine in den Weg gelegt werden“, erklärt die SPD. Eine Lösung bietet die SPD in ihrer Antwort nicht an, ein Versprechen zur Verbesserung der Situation gibt sie ebenfalls nicht ab.
FDP und Union gegen Lockerungen
Die FDP hält den Sprachnachweis vor der Einreise für „grundsätzlich richtig“ und verweisen auf „zahlreiche Ausnahmen“. Die Unionsparteien, die 2007 federführend die geltenden Familiennachzugsregelungen eingeführt haben, halten an ihrer bisherigen Position fest: „CDU und CSU haben nicht vor, Sprachnachweise vor Einreise abzuschaffen.“
Strikt ablehnend ist die Haltung der Union auch bei der Frage nach einer Ausweitung des Familiennachzugs über die heute bestehenden Regelungen hinaus. „CDU und CSU lehnen eine Ausweitung des Familiennachzugs über die heute bestehenden Regelungen hinaus ab“, heißt es in der Antwort. Die FDP bleibt vage – „Einwanderungsrecht aus einem Guss“ – und beantwortet die Frage wortreich nicht; ähnlich die SPD, die immerhin noch eine „schnellere und effizientere“ Visavergabe durch Digitalisierung verspricht.
Vangeltziki: Es geht auch anders
Die Grünen wollen sich dafür einsetzen, die „Einreise von Familien und unverheirateten Paaren unbürokratisch“ zu ermöglichen. An deutschen und europäischen Botschaften brauche es mehr Personal und die Möglichkeit, digital Anträge zu stellen, um die Wartezeiten für Visa von Familienangehörigen zu verkürzen. Die Linke verweist auf den „besonderen grund- und menschenrechtlichen Schutz“ der Familie und erklärt: „Wir befürworten, Visa für Einreisen zwecks Familiennachzugs oder Eheschließung für unverheiratete Partner:innen und Familienangehörige aus Drittstaaten in die Liste triftiger bzw. dringender Einreisegründe aufzunehmen.“
Verbandsgeschäftsführerin Vangeltziki weiß, dass es auch anders gehen kann. Sie verweist auf Regelungen und die Bearbeitungszeiten von Visa-Anträgen qualifizierter und für den deutschen Arbeitsmarkt nützlicher Fachkräfte. Diese werden priorisiert bearbeitet und die Antragsteller müssen nur wenige Wochen auf einen Termin warten. Bei Anträgen von Familienmitgliedern betragen die Bearbeitungszeiten teilweise mehr als ein Jahr, bis die Familien tatsächlich zusammenziehen können – wenn überhaupt – vergehen oft mehrere Jahre. (bk) Leitartikel Politik
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