Neue Koalition
Neue Chancen für die Migrations- und Asylpolitik?
Migrations- und Asylpolitik haben bei dieser Bundestagswahl vergleichsweise kaum eine Rolle gespielt. Die Themen bleiben aber weiter aktuell und ungelöst. Welche Koalition bietet hier gute Chancen?
Von Dr. Malisa Zobel und Giulia Fellin Freitag, 08.10.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 07.10.2021, 16:51 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Im Gegensatz zur Bundestagswahl 2017 haben migrations- und asylpolitische Fragen im diesjährigen Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Trotzdem besteht Hoffnung, dass eine neue Regierung nach den Wahlen die Herausforderungen dieses Politikfeldes stärker angeht. 2017 hatte die AfD das Thema Migration stark für sich besetzt und war als erste rechtsradikale Partei ins Parlament Nachkriegsdeutschlands eingezogen. In der Corona-Pandemie ist die mediale Aufmerksamkeit für die AfD und ihre Themen jedoch zurückgegangen, was sich auch in den Wahlverlusten der AfD widerspiegelt. Die 2017 noch sehr stark medial geschürte migrationsfeindliche Stimmung konnte sich – auch dank des Drucks der Zivilgesellschaft – gesamtgesellschaftlich nicht verfestigen. Inzwischen erscheint es sogar möglich, dass ein Teil der restriktiven Migrations- und Asylgesetzgebung der letzten Legislaturperiode in der neuen wieder zurückgenommen werden könnte.
In der momentan wahrscheinlichsten Regierungskoalition, der roten Ampel, liegen sich die Positionen von SPD, Grünen und FDP auch näher als das zwischen den GroKo-Parteien der Fall war. In einer ebenfalls möglichen Jamaika Koalition wären gemeinsame migrationspolitische Projekte schwieriger umzusetzen, da die Positionen der CDU/CSU und der Grünen sehr weit voneinander entfernt sind und selbst in Fragen der Fachkräftezuwanderung Distanz zur FDP besteht (z.B. bei der Frage des ‚Spurwechsels‘ vom Asylverfahren in die Arbeitsmigration). Wir werfen deshalb einen Blick in die Wahlprogramme der SPD, Grünen und FDP und zeigen mögliche gemeinsame Projekte sowie potenzielle Hindernisse und Hürden auf. Über die konkreten Punkte hinaus, benötigt die nächste Bundesregierung jedoch eine ganzheitlichere Strategie in der Migrationspolitik, sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene.
Wahlprogramm-Check: Auf was könnten sich die Ampel-Parteien einigen?
„Die wichtigsten Herausforderungen auf europäischer Ebene liegen im Bereich solidarische Verantwortungsteilung und Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem sowie des Zugangs zu den Asylverfahren.“
Die wichtigsten Herausforderungen auf europäischer Ebene liegen im Bereich solidarische Verantwortungsteilung und Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) sowie des Zugangs zu den Asylverfahren. Hier gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den potenziellen Koalitionären. Alle drei Parteien sind sich darüber einig, dass das GEAS reformiert werden sollte und es eine verbindliche Verteilung (‚Relocation‘) von Schutzsuchenden innerhalb Europas geben muss. Unterschiede gibt es bei der Frage welche Personengruppen davon ausgeschlossen wären. Während die Grünen nach einer Registrierung mit Hilfe von EASO für eine direkte ‚Relocation‘ werben, will die FDP nur diejenigen umverteilen, die eine Bleibeperspektive haben.
Die beiden größten Parteien einer potenziellen Ampel-Koalition wollen zudem die Rolle der Bundesländer und Städte stärken, die sich in der vergangenen Legislaturperiode immer wieder, gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, mit ihrer zusätzlichen Aufnahmebereitschaft in die migrations- und fluchtpolitische Debatte eingeschaltet hatten. Konkret soll Kommunen ermöglicht werden, Geflüchtete zusätzlich aufzunehmen. In ihrem Wahlprogramm schlagen die Grünen vor, diese Kommunen über einen EU-Integrationsfonds finanziell zu unterstützen. Nicht aufnahmebereite Staaten sollen sich an der Finanzierung dieses Fonds beteiligen. Für diese Idee könnten die Grünen möglicherweise mit der Unterstützung von der FDP rechnen, denn diese möchte ebenfalls Zuwendungen aus dem EU-Haushalt für nicht aufnahmebereite Staaten kürzen. In der SPD ist diese Idee schon lange durch Gesine Schwan propagiert worden und wäre ein europapolitisch innovatives Vorhaben der neuen Regierung, das den vielen aufnahmebereiten Kommunen die Möglichkeit einräumen würde, zusätzlich Geflüchtete aufzunehmen.
Auch bei der Frage, wie legale Zugangswege gestärkt und Fluchtrouten sicherer gemacht werden könnten, gäbe es Potenzial für innovative Instrumente. So haben sowohl die FDP als auch die Grünen die Idee der humanitären Visa in ihren Wahlprogrammen vorgeschlagen. Die SPD erwähnt diese zwar nicht, fordert aber ‚legale Migrationswege‘. Alle drei Parteien bekennen sich klar zum Grundrecht auf Asyl und verurteilen die Push-Backs an den EU-Außengrenzen, zudem sind sich alle drei einig, dass die Seenotrettung nicht kriminalisiert werden darf. Man darf hoffen, dass sich diese Position dann in einer neuen Bundesregierung auch auf Europäischer Ebene deutlicher zeigt.
„Mit Blick auf die wichtigsten Herausforderungen auf nationaler Ebene stechen vor allem der Fachkräftemangel und das Bleiberecht ins Auge.“
Mit Blick auf die wichtigsten Herausforderungen auf nationaler Ebene stechen vor allem der Fachkräftemangel und das Bleiberecht ins Auge. Bei der Umsetzung eines echten, von der SPD schon in der Vergangenheit geforderten, „Spurwechsels“ galt die Union zuvor als Bremser, mit Grünen und FDP wäre eine Vereinfachung des Wechsels aus dem Asylsystem in die Arbeitsmigration wahrscheinlich. Gemeinsam ist den drei Parteien auch, dass sie für bestimmte Personengruppen die Bleiberechtperspektiven verbessern wollen: Die FDP macht sich stark dafür, dass wer arbeitet oder sich durch ein Studium oder Ausbildung qualifiziert, nicht abgeschoben werden soll. Die SPD fordert ein dauerhaftes Bleiberecht für gut integrierte Menschen ohne gesicherten Aufenthalt und die Grünen fordern ein sicheres Bleiberecht für Geduldete ab 5 Jahren. Damit würde auch das Problem der Kettenduldungen stärker angegangen. Alle drei Parteien wollen außerdem eine Einbürgerung erleichtern, indem die vorausgesetzte Aufenthaltsdauer herabgesetzt wird.
Auch beim Thema Familiennachzug sind sich Grüne und SPD einig: Der Familiennachzug soll für alle schutzberechtigten Menschen – anerkannte Flüchtlinge wie subsidiär Schutzberechtigte – wieder hergestellt werden. Wie die FDP dazu steht, ist noch nicht klar, allerdings wäre diese Lockerung ein wichtiges Instrument, um das Problem fehlender sicherer Fluchtwege zumindest abzumildern.
„Trotz all dieser Gemeinsamkeiten gibt es auch viele Differenzen zwischen den Parteien. Das zeigt sich zum Beispiel an der Rolle der EU-Agentur FRONTEX, die momentan stark in der Kritik steht.“
Trotz all dieser Gemeinsamkeiten gibt es auch viele Differenzen zwischen den Parteien. Das zeigt sich zum Beispiel an der Rolle der EU-Agentur FRONTEX, die momentan stark in der Kritik steht. Die FDP will FRONTEX nicht nur reformieren (das wollen die Grünen übrigens auch), sondern auch stärker und schneller ausbauen. Zwar will die FDP FRONTEX auch mit dem Auftrag der Seenotrettung ausstatten, aber die Grünen nehmen eine ganz andere Position ein und fordern eine zivile europäisch koordinierte und finanzierte Seenotrettung. Die SPD schlägt eine staatliche Seenotrettung vor, geht aber nicht ins Detail. Auch in der Frage der sicheren Herkunftsländer, der Abschiebungen und zusätzlicher Aufnahmeprogramme gehen die Positionen auseinander und es bleibt abzuwarten, welche Punkte in einen Koalitionsvertrag aufgenommen werden. Viel wird davon abhängen, wer in einer solchen Koalition das Innenministerium innehat. Das ist auch für die EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik bedeutsam, da die/der Minister*in Deutschland im Ministerrat der EU vertreten wird. Ein echter Neuanfang für die Migrations- und Asylpolitik wäre die Herauslösung der Migrationsthemen aus dem Innenministerium, wie es die Grünen, aber auch die Zivilgesellschaft, gefordert haben. Das könnte sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene einen Anstoß geben, die Migrations- und Asylpolitik nicht mehr primär aus der sicherheitspolitischen Perspektive zu betrachten.
Wo besteht weiterhin viel Lösungsbedarf?
Vor allem die Wahlprogramme der Grünen und der SPD haben einige wichtige Forderungen aus der Zivilgesellschaft und aus der Städtebewegung aufgegriffen. Allerdings fehlen für akute Probleme weiterhin Lösungsvorschläge, dabei fordert die Zivilgesellschaft seit Jahren eine Beendigung der haftähnlichen und menschenunwürdigen Unterbringung in den sogenannten Hotspots auf den griechischen Inseln, eine Wiederaufnahme und deutliche Ausweitung von Resettlement-Programmen innerhalb der EU, die Schließung der AnkER-Zentren und eine deutliche Reduzierung der Aufenthaltsdauer in den Erstaufnahmezentren. Die Isolation, die Menschen in diesen Einrichtungen erfahren, behindert die Wahrnehmung ihrer elementaren Rechte genauso wie eine schnelle Integration.
Viele europäische Kommunen haben sich in den letzten Jahren bereit erklärt Schutzsuchende aufzunehmen und haben inzwischen ein detailliertes Know-how erworben und ihre Unterbringungs- und Verwaltungskapazitäten ausgebaut Sie könnten wichtige Alliierte in der Bearbeitung der oben genannten Herausforderungen sein. Dafür müssen sie rechtlich und finanziell gestärkt werden. Eine rote Ampel hätte die Chance die deutsche Migrations- und Asylpolitik von unten gemeinsam mit den Bürger:innen zu verändern, denn so wie es momentan ist -um den FDP-Slogan zu verwenden- darf es nicht bleiben. Meinung
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Wenn man die unmenschlichen Aktionen der CDU und von unserem CSU Innenminister ansieht, der Anträge Afghanischer Ortskräfte über Wochen verschleppt hat, nur um seine und die Versprechungen der Regierung zur Rettung der Ortskräfte nicht erfüllen zu müssen!
Diese Bande hat die ganze Bundesrepublik diskreditiert!
Wenn die neue Dreier Koalition es besser machen will sollte sie endlich damit beginnen, die Meinungen zur Migration der Bürgermeister, der Stadtverwaltungen und der Landräte, so zu über nehmen wie sie es vorschlagen, denn das sind die Politiker, die am Puls der Gesellschaft sitzen und nicht die Damen und Herren in Berlin, die in den letzten 16 Jahren durch die Merkelianische Politik alle Anliegen der Gesellschaft missachteten, da sie sich in ihrem Elfenbeinturm zu weit von den Menschen entfernt hatten, wie nur irgend möglich für eine Regierung!
Bei der CDU sah man das sogar noch sehr deutlich an Herrn Laschet, der sogar jetzt noch nicht glaubt, dass er nicht der nâchste Kanzler wird!!!