„Unfall, Einzelfall, Versagen“
Schwere Vorwürfe wegen mangelnder Aufarbeitung des NSU-Terrors
Auch Jahre nach der Verurteilung von Beate Zschäpe sind viele Fragen zur Terrozelle NSU offen. Am zehnten Jahrestag der Selbstenttarnung des Terrorkomplexes wird massive Kritik am Umgang der Behörden mit deren Taten laut.
Freitag, 05.11.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.11.2021, 17:00 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Zehn Jahre nach Aufdeckung der rechtsextremen NSU-Terrorzelle hat Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) schwere Versäumnisse bei der Aufarbeitung der rassistischen Mordserie beklagt. Die Ernsthaftigkeit der rechtsextremistischen Bedrohung sei „ganz klar“ nicht erkannt worden, sagte der neue Bundesratspräsident den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Für mich bleibt der ungute Beigeschmack, dass der NSU nicht alleine gehandelt hat.“
Es habe ein viel größeres Netzwerk gegeben, dem man sich zu wenig gewidmet habe, kritisierte Ramelow. Er halte es immer noch für möglich, dass die NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gar nicht Selbstmord begangen haben.
Auch der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan J. Kramer, bescheinigt den Behörden ein Versagen im Fall NSU. Er verstehe die Kritik von Opferangehörigen und deren Anwälten, sagte Kramer in der Sendung „RTL Direkt“.
Daimagüler wirft Ermittlungsbehörden Rassismus vor
Der Anwalt der Opfer der rechten Terrorgruppe, Mehmet Daimagüler, kritisierte einen laschen Umgang mit rechten Straftaten. Bis heute sei die Frage nach einer Beteiligung des Verfassungsschutzes an den NSU-Taten ungeklärt, sagte Daimagüler im RBB-Inforadio. Der NSU sei durchsetzt gewesen mit V-Leuten, „aber die Geheimdienste wollen von alledem nichts gewusst haben.“
Offen sei ferner, wie groß der NSU wirklich gewesen sei. „Frau Zschäpe ist meiner Meinung nach nicht die einzige Überlebende“, sagte der Anwalt und Buchautor. Daimagüler wirft den Ermittlungsbehörden Rassismus vor, „der dafür gesorgt hat, dass die Morde nicht verhindert und nicht aufgeklärt wurden“.
Opferberatung: Immer noch massive Defizite
„Aufarbeitung heißt auch Aufarbeitung bei Ermittlungsbehörden wie der Polizei und den Ämtern für Verfassungsschutz“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Atila Karabörklü. Eine Rassismusstudie bei der Polizei sei abgelehnt worden und die Ermittlungen zu den Morden von Hanau verliefen „unterirdisch“. Überdies träfen Sicherheitsbehörden offenbar kaum Maßnahmen gegen Rechtsextremismus in den eigenen Reihen. „Es muss sich dringend etwas ändern“, so Karabörklü.
Auch die Thüringer Opferberatung ezra sieht noch immer massive Defizite in den Strukturen und im Handeln der Behörden. Diese hätten die rechte Terrorserie mindestens ermöglicht und seien noch immer nicht abgestellt, erklärte ezra-Projektkoordinator Franz Zobel in Erfurt. Bis heute würden die strukturellen Probleme als „Unfall“, „Einzelfall“ und „Versagen“ verharmlost.
Schuster: Vertrauen in den Rechtsstaat tief erschüttert
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, betonte, unverzeihliche Defizite bei den Ermittlungen zu den Morden des NSU hätten bei vielen Bürgern das Vertrauen in den Rechtsstaat tief erschüttert. Er forderte weitere Bemühungen um Aufklärung. Dabei muss es aus Schusters Sicht vor allem um die Netzwerke und Unterstützer des NSU gehen.
Die Terrorzelle war aufgeflogen, nachdem zwei der Mitglieder am 4. November 2011 in Eisenach tot in einem Wohnmobil gefunden wurden und ein Wohnhaus am selben Tag in Zwickau explodiert war. Der NSU ermordete zwischen 2000 und 2007 neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin. Beate Zschäpe, Mitglied des Terrorkomplexes, wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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