Kriminalstatistik
Familienministerin kritisiert Verharmlosung durch „Familiendrama“
Gewalt in der Partnerschaft nimmt zu - vor allem Frauen werden Opfer. Ein massives Dunkelfeld macht die Analyse jedoch oft schwer. So stiegen während der Corona-Lockdowns die Fallzahlen zwar nicht stark, Hilfetelefone bemerkten aber Veränderungen.
Mittwoch, 24.11.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 23.11.2021, 16:47 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Alle zweieinhalb Tage stirbt in Deutschland eine Frau durch Gewalt ihres Partners oder Ex-Partners, 70 Prozent sind deutsche Staatsangehörige. Wie aus der am Dienstag in Berlin veröffentlichte Kriminalistischen Auswertung Partnerschaftsgewalt 2020 hervorgeht, wurden 2020 insgesamt 139 Frauen Opfer von tödlicher Partnerschaftsgewalt und 30 Männer. Ein Jahr zuvor waren es 117 Frauen und 32 Männer. Die Zahl der Fälle von Gewalt in bestehenden und ehemaligen Partnerschaften stieg im Vergleich zu 2019 um 4,9 Prozent auf 146.655 an. Während der Corona-Lockdowns gab es den Angaben nach indes keine auffällige Zunahme der polizeilich erfassten Taten. Es wird aber von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
Die Partnerschaftsgewalt umfasst laut Bundeskriminalamtspräsident Holger Münch verschiedene Straftaten vom Stalking über Freiheitsberaubung, Vergewaltigung, Körperverletzung bis hin zum Mord. Er betonte, die präsentierten Zahlen seien nur das Hellfeld. Es gebe auch ein sehr erhebliches Dunkelfeld. Die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) rief dazu auf, Gewalt in der Familie nicht hinzunehmen. Hier müsse man „raus aus der Tabuzone“.
Zugleich kritisierte die Ministerin, wenn in Fällen von tödlicher Gewalt von einer „Familientragödie“ gesprochen werde. Es handele sich um nichts anderes als um ein Gewaltdelikt, betonte sie. Von einer Familientragödie spreche sie dann, wenn zum Beispiel eine Mutter von drei Kindern an Krebs versterbe.
Mehrheit der Tatverdächtigen Deutsche
Studien zufolge werden Verbrechen in deutschen Familien in Medienberichten zumeist als „Familientragödien“ bezeichnet. Bei Gewaltverbrechen in Familien mit Migrationshintergrund hingegen hat sich in Medien der die Bezeichnung „Ehrenmord“ durchgesetzt, was bei Medienexperten auf Kritik stößt.
Nach Worten von Lambrecht erfuhren im vergangenen Jahr in nur einer Stunde durchschnittlich 13 Frauen Gewalt in Partnerschaften. Von insgesamt mehr als 122.000 Tatverdächtigen waren den Angaben nach rund 80 Prozent männlich und etwa 20 Prozent weiblich. Mehr als die Hälfte der Opfer (51,2 Prozent) habe in einem gemeinsamen Haushalt mit der tatverdächtigen Person gelebt. Die Mehrheit der Tatverdächtigen habe mit knapp 66 Prozent die deutsche Staatsangehörigkeit gehabt.
Kein Anstieg in der Polizeistatistik im Lockdown
Neu in die Auswertung aufgenommen wurde das „Tatmittel Internet“ in Fällen von Bedrohung (Anteil: 4,8 Prozent), Stalking (9,9 Prozent) und Nötigung (4 Prozent). Hier seien in den vergangenen Jahren Anstiege zu verzeichnen.
Während der Lockdowns in der Corona-Pandemie fiel Gewalt in Partnerschaften zumindest in der Polizeistatistik nicht als überdurchschnittlich stark auf. So gab es im April 2020 im Vergleich zum Vorjahresmonat zwar einen Anstieg von 2,9 Prozent und im Mai von 3,7 Prozent. Während des zweiten Lockdowns im Spätherbst und Winter sank wiederum die Zahl der registrierten Fälle um 1,5 Prozent im November und um 3,2 Prozent im Dezember. Dies könnte den Angaben nach aber auch daran gelegen haben, dass der Lockdown es Betroffenen schwerer gemacht hat, beispielsweise zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten.
Hilfstelefone verzeichnen steigende Nachfrage
Das bundesweiten Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ bemerkte indes eine stark angestiegene Nachfrage: Demnach wurden 2020 mehr als 51.000 Beratungen dokumentiert, rund 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Leiterin des Hilfetelefons, Petra Söchting, sagte, in ohnehin schwierigen Paarbeziehungen führten räumliche Enge, Home-Office, Home-Schooling oder die Angst vor Arbeitsplatzverlust natürlich dazu, dass Situation weiter eskalieren könnten. Auch gebe es keine Möglichkeiten, sich zum Beispiel aus dem Weg zu gehen.
Dass sich die Lage zugespitzt habe, sei auch daran zu sehen gewesen, dass die Hilfetelefone vermehrt Anrufe aus konkreten Notsituationen heraus bekommen hätten: Situationen mit sehr massiver Gewalt, wo die Beraterinnen etwa die Polizei per Konferenzschaltung mit einbinden oder den Rettungsdienst anrufen mussten. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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