UN soll ermitteln
Rassistische Diskriminierung durch ungerechte Impfstoff-Verteilung
Ein internationales Bündnis aus Menschenrechtsorganisationen beklagt, dass mehrere Länder, darunter Deutschland, durch ihre Blockade der Aussetzung von Impfstoff-Patenten Menschenrechte verletzen. Ein ugandischer Menschenrechtsaktivist droht Deutschland mit einer Klage.
Montag, 29.11.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.11.2021, 10:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Weltweit gingen 73 Prozent aller Covid-19-Impfstoffdosen an nur zehn Länder. Die wohlhabenden Länder haben pro Kopf 61-mal mehr Impfdosen verabreicht als einkommensschwache Länder. Die zehn einkommensstärksten Länder werden bis Ende 2021 rund 870 Millionen überschüssige Impfdosen gehortet haben. Zum Vergleich: Nur 5,8 Prozent aller Afrikaner sind bislang geimpft. Und den ohnehin armen Ländern des Südens drohen bis 2025 wirtschaftliche Verluste in Höhe von 2,3 Billionen US-Dollar, wenn sie es nicht schaffen, bis Mitte 2022 60 Prozent ihrer Bevölkerung zu impfen.
Die ungerechte Verteilung von Covid-19-Impfstoffen führt nach Ansicht eines internationalen Bündnisses aus Menschenrechtsorganisationen zu rassistischer Diskriminierung. Staaten, die dagegen nicht einschreiten, machten sie sich der Verletzung von Menschenrechten schuldig. Deshalb hat das Bündnis bei den Vereinten Nationen einen Eilantrag eingereicht. Sie fordern unter anderem die Aussetzung des Patentschutzes von Covid-Impfstoffen.
Musterbeispiel für rassistische Diskriminierung
„Die ungleiche Verteilung von Covid-19-Impfstoffen ist ein Musterbeispiel für strukturelle rassistische Diskriminierung. Denn in den wohlhabenden Ländern, die derzeit Impfstoffe herstellen und horten, leben mehrheitlich ‚weiße‘ Menschen, während die ehemals kolonialisierten Länder, die unter mangelndem Zugang zu Impfstoffen leiden, mehrheitlich von Schwarzen, Indigenen und anderen People of Colour bewohnt werden“, erklärt das Bündnis.
In ihrer Beschwerde an den UN-Ausschuss für die Beseitigung rassistischer Diskriminierung (CERD) erhebt das Bündnis deshalb den Vorwurf, dass die USA, Großbritannien, Deutschland, Norwegen und die Schweiz gegen das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form rassistischer Diskriminierung verstoßen, das von fast allen Ländern der Welt ratifiziert wurde. Es verlangt von jedem Vertragsstaat wirksame Maßnahmen, „um das Vorgehen seiner staatlichen und örtlichen Behörden zu überprüfen und alle Gesetze und sonstigen Vorschriften zu ändern, aufzuheben oder für nichtig zu erklären, die eine Rassendiskriminierung – oder dort, wo eine solche bereits besteht, ihre Fortsetzung – bewirken.“
Achtung von Menschenrechtsverpflichtungen
Die USA, Großbritannien, Deutschland, Norwegen und die Schweiz haben sich nach Angaben des Bündnisses geweigert, Maßnahmen zu ergreifen, um das weltweite Angebot an Impfstoffen zu erhöhen und einen gleichberechtigten Zugang dazu zu ermöglichen. Dies sei ein Verstoß gegen ihre Verpflichtungen aus der Menschenrechtskonvention.
Info: Zum Bündnis der beschwerdeführenden Organisationen gehören African Alliance, Center for Economic and Social Rights, Centro de Estudios Legales y Sociales, Minority Rights Group, Oxfam International and Treatment Action Campaign. Die Beschwerde wurde koordiniert durch Global Network of Movement Lawyers und ESCR-Net, und wird unterstützt von SECTION27 sowie weiteren Organisationen in der People’s Vaccine Alliance.
Die beschwerdeführenden Organisationen fordern CERD auf, die beklagten Länder zur „Achtung, zum Schutz und zur Erfüllung ihrer Menschenrechtsverpflichtungen“ zu verpflichten und Sofortmaßnahmen zu ergreifen. Darunter: unverzüglich eine vorübergehende Aussetzung des Patentschutzes für Corona-Impfstoffe. Zudem sollen Pharmakonzerne Technologie und Wissen mit anderen Herstellern teilen, damit sie in die Produktion von Impfstoffen einsteigen.
Menschenrechtler droht Deutschland mit Klage
Derweil hat auch der ugandische Menschenrechtsaktivist Mulumba Moses eine Freigabe der Patente auf Corona-Impfstoffe bei der deutschen Bundesregierung beantragt. Sollte sich die Bundesregierung bei der Welthandelsorganisation (WTO) nicht für eine Aussetzung des Patentschutzes einsetzen, müsse sie mit einer Klage rechnen, teilten die Hilfsorganisation Medico International und das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) am Freitag in Berlin mit. Der von den beiden Organisationen unterstützte ugandische Staatsbürger beruft sich auf das Grundgesetz, weil dessen Geltung nicht territorial begrenzt sei.
Ab Dienstag verhandeln die WTO-Mitgliedsstaaten in Genf abermals über eine zeitweise Aussetzung der Patente auf Corona-Impfstoffe und Medikamente. Bereits im Herbst 2020 hatten Indien und Südafrika eine vorübergehende Aufhebung des Patentschutzes bei der WTO beantragt.Inzwischen engagieren sich mehr als 100 Länder für das Anliegen, auch die USA zeigten sich offen. Die deutsche Regierung hingegen hielt bisher am Patentschutz fest. (mig) Aktuell Panorama
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