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„Chief Silvia“ greift durch

Kampf gegen Mädchenheirat und Beschneidung in Kenia

Kenias Verfassung garantiert Frauen Gleichberechtigung. Weibliche Beschneidung und Mädchenheirat sind verboten. Auf dem Land ist die Realität vielerorts anders. Silvia Naisunko sorgt in einer Massai-Gemeinde im Südwesten dafür, dass sich das ändert.

Von Donnerstag, 02.12.2021, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 01.12.2021, 17:35 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Muntaia bringt kein Wort heraus. Mit gesenktem Blick zeigt die 14-Jährige auf das Bett, vor dem sie steht. Erst dann, nach einigem Zögern, kommt sehr leise: „Hier schlafe ich jetzt.“ Muntaia steht im Kinderzimmer von „Chief Silvia“. Vor einer halben Woche suchte sie mitten in der Nacht hier Zuflucht.

Dass sie ausgerechnet zu Silvia Naisunko floh, liegt an deren Ruf und Job. Die 39-Jährige ist Verwaltungschefin von Morijo, einer Gemeinde im Südwesten von Kenia. Für eine Frau ist das hier ein ungewöhnlicher Posten.

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Konservativ und stolz auf ihre die Kultur

In der Region leben fast ausschließlich Menschen aus dem Volk der Massai, konservativ und besonders stolz auf ihre Kultur. Dabei ist die kenianische Verfassung sehr fortschrittlich, Frauen gewährt sie weitreichende Rechte. Das gesetzliche Mindestalter für die Ehe beträgt 18 Jahre, und die weibliche Genitalverstümmelung ist verboten. Aber vor allem auf dem Land sind die Realitäten vielerorts andere.

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„Mein Vater ist eines Abends gekommen und hat mir gesagt, dass ich noch in derselben Nacht abgeholt werde, um zu heiraten“, erzählt Muntaia über die Gründe ihrer Flucht zu „Chief Silvia“. „Mir wurde schlecht, ich verlor das Bewusstsein.“ Ihr Bruder habe sie ins Gesundheitszentrum nach Morijo gebracht. „Als es mir wieder besser ging, sagte mein Vater der Familie des Mannes, den ich heiraten sollte, Bescheid, sie könne mich im Gesundheitszentrum abholen.“

Die „Unterhändler“ des vom Vater erwählten Ehemanns seien nachts mit dem Motorrad gekommen, um sie zu holen, sagt Muntaia. Sie musste aufsteigen, und es ging los. Aber noch vor dem Ende des Dorfes sprang sie ab und lief zu „Chief Silvia“.

„Ich möchte nicht wie meine Mutter leben“

Am Morgen nach Muntaias Flucht ging Naisunko mit dem Mädchen zur Polizeistation, die Aussage des Kindes wurde zu Protokoll gegeben. Auch ihre Eltern kamen, um auszusagen. Der Fall sei noch nicht abgeschlossen, sagt Naisunko, „aber es ist klar, dass Muntaia weiter in die Schule gehen wird“. Die „Chefin“ will jedenfalls alles dafür tun und auch versuchen, die erforderlichen Gebühren zusammenzubekommen.

Gefragt, warum sie sogar den Sprung von einem fahrenden Motorrad wagte, um der Heirat zu entgehen, antwortet Muntaia: „Ich möchte nicht wie meine Mutter leben. Sie muss meinen Vater bei allem um Erlaubnis fragen.“ Sie dagegen wolle später für sich selbst entscheiden.

Seit acht Jahren versucht „Chief Silva“, die Verhältnisse in Morijo zu verändern und dafür zu sorgen, dass die Gesetze eingehalten werden. Auch diejenigen, die Frauen schützen und ihnen Rechte garantieren. Den Job, sagt sie, habe sie gegen sieben männliche Bewerber schlicht deshalb bekommen, weil sie besser war. Studiert hat sie öffentliche Verwaltung und Kriminologie.

Hoffen auf Ende von Mädchenheirat

Einiges habe sie schon verändern können, meint Naisunko. So sei die – in Kenia seit 2011 illegale – weibliche Beschneidung in Morijo kaum noch ein Thema, während andernorts die Geschlechtsteile vieler Mädchen und Frauen weiterhin verstümmelt werden. Zahlen gibt es dazu nicht, noch nicht einmal Schätzungen. Eine offizielle Statistik erfasst nur die Zeit vor dem Verbot: Landesweit war jede fünfte Frau im Alter zwischen 15 und 49 Jahren beschnitten.

Naisunko sagt, es sei gar nicht so schwer gewesen, die Verhältnisse in Morijo zu verändern. Nötig seien dafür nur der entsprechende Wille und Konsequenz. Gleich nach Amtsantritt machte Naisunko klar, dass sie künftig das gesetzliche Verbot der Genitalverstümmelung durchsetzen würde. Kurz später verhaftete die Polizei eine Beschneiderin und die Eltern eines Mädchens, das der Prozedur unterworfen werden sollte. Alle drei wurden vor Gericht gebracht. Um sicher zu sein, dass der Prozess nicht unterging, informierte Naisunko die Medien darüber.

„Danach hatten alle große Angst“, erklärt Naisunko. „Ich erinnere mich nicht mehr genau an das Jahr, ich glaube, es war 2013.“ Seitdem sei allen klar, dass in Morijo die Gesetze ernst genommen werden müssten. Das Ende der Mädchenheirat, hofft Naisunko, werde deshalb auch bald kommen. (epd/mig) Aktuell Ausland

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