Eine Sache der Ehre
Bestattungs- und Trauerkultur der Sinti und Roma
Die edlen Grabsteine aus Marmor sind reich verziert, oftmals sind es Gruften, in denen die Familien begraben sind: Sinti und Roma pflegen eine ganz eigene Bestattungs- und Trauerkultur.
Von Carina Dobra Montag, 13.12.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 11.12.2021, 8:16 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Hermann Ernst ist im Stress. Der Vorsitzende des Bremer Sinti-Vereins kommt gerade von einer Beerdigung eines seiner Mitglieder. „Eher im kleinen Kreis“, erzählt der Sinto. Gewöhnlich kämen 80 bis 100 Menschen zusammen, um Abschied von dem Verstorbenen zu nehmen – ob man ihn oder sie gekannt habe oder nicht. „Das hat bei uns viel mit Ehre zu tun“, betont der Bremer.
So schreibt auch die Bundeszentrale für politische Bildung über die Gruppe der Sinti und Roma: „Gemeinsam ist ihnen die Wertschätzung der Familie und Verwandtschaft über die Kernfamilien hinaus.“ Grabstätten von Sinti und Roma gibt es neben Bremen etwa in Frankfurt am Main, Bonn, Köln, Hanau und Hamburg. Meist ist dafür ein separater Bereich auf dem jeweiligen Friedhof vorgesehen, ähnlich wie für jesidische, muslimische oder jüdische Gräber.
Wichtig zu erwähnen ist nach Angaben des Hessischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma außerdem die sogenannte „Ewige Ruhe“ für Überlebende des Holocaust: Wenn ein Verstorbener von den Nazis verfolgt wurde, besteht ein Anspruch auf dauerhaften Erhalt des Grabes. Nach den ersten 25 Jahren, in denen die Angehörigen für die Kosten aufkommen müssen, übernimmt auf Antrag der Bund die Kosten.
Viele Gräber in Bonn-Beuel
Oft sind die Grabmäler von Sinti und Roma als Gruften ausgebaut, mit Grabplatten oder tempelartigen Bauelementen gestaltet. Häufig wird mit Marmor gearbeitet. Eine weitere Auffälligkeit: Manche Hinterbliebene gedenken den Verstorbenen mit einem Konterfei als Büste oder sogar einem Denkmal in Lebensgröße.
Viele solcher Gräber gibt es zum Beispiel in Bonn-Beuel zu sehen. Vor mehr als 50 Jahren wurden auf dem Friedhof am Platanenweg die ersten Sinti und Roma bestattet. Der katholische Pfarrer Michael Dörr ist seit etwa 20 Jahren für die Gemeinde Vilich und somit für den Friedhof an der Gerhardstraße zuständig, wo es nach Angaben der Stadt zurzeit knapp 80 Grabanlagen von Sinti und Roma gibt.
Anfragen etwas nachgelassen
Dörr leitet etwa drei bis vier Sinti- und Roma-Beerdigungen pro Jahr, wie er erzählt. Die Anfragen hätten etwas nachgelassen. Viele der Menschen hätten sich evangelikalen Glaubensgemeinschaften mit freien Predigern angeschlossen.
Eine eigene gemeinsame Religion haben Roma und Sinti nicht, wie die Bundeszentrale für politische Bildung auf einer Themenseite im Netz schreibt. Sie seien Mitglieder verschiedener Religionen oder auch Konfessionen, vielfach seien sie Muslime oder Orthodoxe im europäischen Südosten, Katholiken und Protestanten in Mitteleuropa und auch Mitglieder von Freikirchen überall in der Welt.
„Sinti und Roma trauern anders“
In jedem Fall gilt: „Sinti und Roma trauern anders“, sagt Dörr. Die Angehörigen reisten oft von weit her an. Familien beerdigten ihre Verstorbenen häufig dort, wo bereits andere Familienmitglieder bestattet seien. So sei Bonn-Beuel zu einem Zentrum geworden.
Manchmal müsse das Ordnungsamt bei großen Bestattungen den Verkehr vor dem Friedhof organisieren, erinnert sich Dörr. Bei der Trauerfeier spiele die Orgel, Weihrauch werde geschwenkt. Häufig werde der Verlust des Verstorbenen lautstark beklagt. Üblich sei es, dem oder der Toten Gegenstände mit in den Sarg zu legen. Dörr erinnert sich an eine junge Frau, deren Fingernägel noch frisch lackiert wurden und die ihr rosa Smartphone mit in den Sarg bekam.
Beziehung zu den Verstorbenen
Dieser Tradition würden jedoch nicht alle Familien nachgehen, erklärt der Vorsitzende des Hessischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma, Adam Strauß. In der Regel sei es eher die ältere Generation, die den Verstorbenen einen geliebten Gegenstand mit auf den letzten Weg geben möchte.
Wenn an Allerheiligen die Angehörigen kommen und die Gräber schmücken, pflegen sie auf lebendige Art die Beziehung zu den Verstorbenen, wie Dörr erzählt, auch mit Musik und Essen. In Frankfurt am Main, wo auf dem Hauptfriedhof ebenfalls Sinti und Roma begraben sind, hatte sich vor einigen Jahren einem Zeitungsbericht zufolge ein Pfarrer über rauchende Grabbesucher beschwert. Andere Besucher störten sich am „Baumarkt-Stil“ der Gräber. Auf Anfrage betont die Stadt, aktuell gebe es keine Probleme.
Negativ-Schlagzeilen und falsche Gerüchte
Adam Strauß weist solche Erzählungen entschieden zurück und betont: „Unsere Gräber gehören zu den gepflegtesten, weil in unserer Vorstellung die Beziehung zu den Toten nie abbricht.“
Auch Hermann Ernst vom Bremer Sinti-Verein ärgert sich über Negativ-Schlagzeilen und falsche Gerüchte. Vorurteile gegenüber Sinti und Roma werde es immer geben, ist der 57-Jährige überzeugt: „Obwohl wir Bürger dieses Staates sind. Das macht mich traurig. Viele Leute hören von Sinti und Roma, können damit aber nichts anfangen, weil sie sich noch nicht mit uns befasst und mal hinter die Kulissen geschaut haben.“ Deswegen wünscht sich der Bremer mehr Aufklärung – und dass auch andere Friedhöfe Bereiche für Sinti- und Roma-Gräber freigeben. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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