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Prozess gegen KZ-Wachmann

„Hinter jeder Zahl steht ein Mensch“

Eine endlose Reserve von Arbeitssklaven: So sah die SS sowjetische Kriegsgefangene. Im Herbst 1941 begann ihre KZ-Deportation. Zu der Zeit soll auch der Angeklagte im Sachsenhausen-Prozess seinen Dienst als Wachmann begonnen haben.

Montag, 10.01.2022, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 09.01.2022, 12:53 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Im NS-Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen standen am 20. Verhandlungstag die Ermordung und das Massensterben der im Konzentrationslager inhaftierten sowjetischen Kriegsgefangenen im Mittelpunkt. Der historische Sachverständige Stefan Hördler sprach am Freitag in Brandenburg an der Havel von einer „exorbitant hohen Todeszahl“. Die Zeit, in der der inzwischen 101-jährige Josef S. laut Anklage beim SS-Wachbataillon im Konzentrationslager im Einsatz war, überschneidet sich mit der Zeit der Verschleppung russischer Kriegsgefangener in das KZ und in andere Konzentrationslager ab Herbst 1941.

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Allein Mitte Oktober 1941 seien etwa 2.500 sowjetische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter nach Sachsenhausen deportiert worden, sagte Hördler. Ein Großteil von ihnen sei dort in wenigen Wochen ums Leben gekommen. Aufzeichnungen und statistische Daten belegten, dass von täglich 15 bis 30 Toten unter den von den Nazis als „Arbeitsrussen“ bezeichneten Häftlingen ausgegangen werden müsse. Die SS habe die sowjetischen Kriegsgefangenen als „endlose Personalreserve“ von Arbeitssklaven betrachtet, die praktisch unbegrenzt als „Nachschub“ für Todesfälle zur Verfügung stehe, sagte Hördler. Entsprechend schlecht seien die Menschen behandelt worden.

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Daimagüler: „Hinter jeder Zahl steht ein Mensch“

Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler betonte, bei den Statistiken müsse auch im Blick bleiben, „dass hinter jeder Zahl ein Mensch steht“. Die in Sachsenhausen umgekommenen russischen Kriegsgefangenen seien junge Menschen gewesen, die ihre Eltern nie wiedergesehen hätten, sagte Daimagüler, der auch am Prozess gegen die rechtsextreme Terrorgruppe NSU als Nebenklage-Vertreter beteiligt war. Dies sei ein Aspekt, über den auch der Angeklagte nachdenken sollte. Der Jurist vertritt in dem Verfahren die 83-jährige Sintezza Johanna W., deren Vater 1943 als Angehöriger der Minderheit in Sachsenhausen ermordet wurde.

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Zunächst war vorgesehen, das Gutachten mit dem 14. Tag der Ausführungen Hördlers am Freitag abzuschließen. Der Sachverständige benötige jedoch noch weitere Termine, sagte Richter Udo Lechtermann. Bislang sind Verhandlungstermine bis Ende März vorgesehen. Dabei sollen auch weitere Überlebende der NS-Verbrechen als Zeugen gehört werden. Die Verhandlung soll am 27. Januar fortgesetzt werden. (AZ: 11 Ks 4/21)

Zehntausende ermordet

Im KZ Sachsenhausen waren von 1936 bis 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen vor.

Den Ermittlungen zufolge war Josef S. in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 im KZ Sachsenhausen als SS-Wachmann im Einsatz. Im Zuge der Ermittlungen wurden unter anderem Dokumente aus der Gedenkstätte Sachsenhausen, dem Bundesarchiv in Berlin und der Stasi-Unterlagenbehörde ausgewertet. Der in Litauen geborene S., der nach dem Zweiten Weltkrieg und seiner Kriegsgefangenenzeit in der DDR gelebt hat, bestreitet bislang, Wachmann in Sachsenhausen gewesen zu sein. (epd/mig) Aktuell Panorama

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