Interview mit Ulrich Kelber
Datenschutzbeauftragter: Ausländerzentralregister einer kritischen Prüfung unterziehen
Im Ausländerzentralregister sind 19 Millionen Personen erfasst. 16.000 Stellen können Auskunft aus dem Register erhalten, jährlich werden bis zu 70 Millionen Abfragen getätigt. Datenschützern ist das Register ein Dorn im Auge. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung, Prof. Ulrich Kelber, sieht den Gesetzgeber in der Pflicht. Im MiGAZIN-Interview erklärt er, wo er Verbesserungsbedarf sieht.
Mittwoch, 26.01.2022, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.01.2022, 1:34 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
MiGAZIN: Ein neues Gutachten und eine neue Studie kommen zu dem Ergebnis, dass das Ausländerzentralregister (AZR) verfassungswidrig ist. Die Vorwürfe: Datenschutzstandards würden nicht eingehalten, zu viele Behörden könnten auf zu viele Daten zugreifen. Hat Sie diese Kritik überrascht?
Ulrich Kelber: Nein, im Grundsatz hat mich die Kritik nicht überrascht. Es ist selbstverständlich, dass gesetzliche Regelungen kritisch hinterfragt werden. Ich habe selbst im Gesetzgebungsverfahren zur Weiterentwicklung des AZR bei verschiedenen Regelungen datenschutzrechtliche Bedenken geäußert. Zum Beispiel zur zentralen Speicherung von Dokumenten im Register, für die eine nachwirkende Kontrolle durch meine Behörde allein keine angemessene Kompensation darstellt.
Das AZR-Gesetz wurde in den vergangenen 20 Jahren mehrmals überarbeitet und erweitert – oft sehr kurzfristig und im Eiltempo. Hatte der Bundesdatenschutzbeauftragte genug Ressourcen und Zeit, den Gesetzgeber auf mögliche Bedenken hinzuweisen?
„Änderungen mussten von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oftmals unter hohem Zeitdruck und Wegfall aller eigentlich für diesen Prozess vorgesehenen Fristen auf ihre Vereinbarkeit mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben geprüft werden.“
Ulrich Kelber: Im Fundstellennachweis für das Bundesgesetzblatt finden Sie nicht weniger als 40 Änderungen des AZR-Gesetzes seit dem Jahr 2001, 16 davon seit Beginn der vermeintlichen „Flüchtlingskrise“ im Jahr 2015. Jede dieser Änderungen musste von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern oftmals unter hohem Zeitdruck und Wegfall aller eigentlich für diesen Prozess vorgesehenen Fristen auf ihre Vereinbarkeit mit den datenschutzrechtlichen Vorgaben geprüft werden. Das kann dazu führen, dass wichtige Aspekte übersehen oder nicht vollständig richtig bewertet werden. Auch die Evaluation vorausgegangener Änderungen fehlt als Entscheidungsgrundlage.
Im AZR sind rund 19 Millionen Personen erfasst. 16.000 Stellen können Auskunft aus dem Register erhalten, jährlich werden bis zu 70 Millionen Abfragen getätigt. Gleichzeitig laufen bundesweit hunderte Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen missbräuchlicher Datenabfragen in Behörden, darunter auch Abfragen aus dem AZR. Teilweise tauchten die abgerufenen Daten in rechten Netzwerken auf oder wurden für rassistisch motivierte Straftaten verwendet – Stichwort „NSU 2.0“. Ist das AZR nicht auch ein Sicherheitsproblem?
„Die Sicherheitsmaßnahmen, wie z.B. die Protokollierung der Zugriffe und die Kontrolle im Nachhinein, sollen die Hemmschwelle für missbräuchliche Abrufe sehr hoch setzen. Hier kann die öffentliche Verwaltung allerdings noch besser werden.“
Ulrich Kelber: Vom AZR als Sicherheitsproblem möchte ich nicht sprechen. Zentrale Datenbestände bringen zwar grundsätzlich die abstrakte Gefahr des Missbrauchs und wegen der Vielzahl von Daten mit weitreichenden Folgen mit sich. Aus der Praxis ist mir bisher kein solcher Missbrauch des AZR bekannt. Die Sicherheitsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Protokollierung der Zugriffe und die Kontrolle im Nachhinein, sollen die Hemmschwelle für missbräuchliche Abrufe sehr hoch setzen. Hier kann die öffentliche Verwaltung allerdings noch besser werden, zum Beispiel durch stichprobenartige Begründungsnotwendigkeit bei Abfragen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist mangelnde Transparenz. Ausländer werden nicht darüber aufgeklärt, dass ihre Daten im AZR gespeichert und weitergereicht werden. Es gibt weder Informations- noch Belehrungspflichten. Betroffene haben zwar ein Auskunftsrecht, das Antragsverfahren ist aber kompliziert. Die Studienautoren bemängeln zudem lange Wartezeiten und knappe Antworten. Die Ablehnung einer Auskunftserteilung bedarf nicht einmal einer Begründung. Was können Betroffene in so einer Situation tun?
Ulrich Kelber: Die verantwortlichen Behörden müssen grundsätzliche Angaben zur Datenverarbeitung machen, beispielsweise durch Datenschutzerklärungen. Betroffene können sich an mich wenden, wenn ihnen eine Auskunft ohne Begründung verweigert wird. Darauf muss sie die handelnde Behörde nach dem AZR-Gesetz ausdrücklich hinweisen.
Ein Vorwurf der Autorin der eingangs erwähnten Studie lautet: Eine Datensammlung wie das AZR über deutsche Staatsbürger, auf die Behörden so frei zugreifen können, wäre undenkbar. Wie sehen Sie das?
„Für das AZR muss datenschutzrechtlich sichergestellt werden, dass nur legitime Zwecke verfolgt werden und Umfang und Ausmaß gespeicherter personenbezogener Daten angemessen und verhältnismäßig sind.“
Ulrich Kelber: Bisher erschien eine zentrale Datenbank über die personenbezogenen Daten aller deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger undenkbar. Die Politik hat jetzt allerdings bereits Schritte unternommen, auch die Daten von deutschen Staatsbürgern zusammenzuführen. Ich denke dabei an die einheitliche Personenkennziffer, die ich äußerst kritisch sehe, auch wenn es noch immer weniger wäre als das, was als Datenspeicherungen im AZR stattfindet. Für das AZR muss datenschutzrechtlich sichergestellt werden, dass nur legitime Zwecke verfolgt werden und Umfang und Ausmaß gespeicherter personenbezogener Daten angemessen und verhältnismäßig sind. Die Grenzen hat im Übrigen auch der EuGH bereits in Bezug auf die Speicherung von Daten von EU- Bürgern aufgezeigt.
Erhalten Sie als Bundesdatenschutzbeauftragter viele Beschwerden im Bereich des Ausländer- und Asylrechts?
„Mittlerweile haben wir einigen Abstand zur sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 gewonnen. Diese Distanz sollte man nutzen, um zu prüfen, ob wirklich alle im AZR zu speichernden Daten wirklich erforderlich sind.“
Ulrich Kelber: Die Beschwerden bewegen sich auf überschaubarem Niveau. Das könnte daran liegen, dass viele Betroffene nicht wissen, dass sie sich an mich wenden können. Oder es könnte sein, dass Asylbewerber Vorbehalte und Ängste haben, sich an staatliche Stellen zu wenden, weil sie Nachteile für ihre Verfahren befürchten oder allgemein schlechte Erfahrungen in ihren Herkunftsländern gemacht haben. Oftmals gehen Berater wie Rechtsanwälte aber auch andere Wege, um die Interessen der Betroffenen zu vertreten. Ich versuche dem auch dadurch entgegenzuwirken, Informationen über die Rechte als Betroffener in den Ausländerämtern und anderen Stellen anzubieten, zunehmend auch in verschiedenen Sprachen.
Sehen Sie den Gesetzgeber in der Pflicht, nachzubessern?
Ulrich Kelber: Mittlerweile haben wir einigen Abstand zur sogenannten „Flüchtlingskrise“ 2015 gewonnen. Diese Distanz sollte man nutzen, um zu prüfen, ob wirklich alle im AZR zu speichernden Daten wirklich erforderlich sind. Auch die Länge von Speicherfristen sowie Zugriffsregelungen – insbesondere Abrufe im automatisierten Verfahren – und der Kreis der Zugriffsberechtigten sollte einer kritischen Prüfung unterzogen werden. Interview Leitartikel Panorama
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