Migrationskontrolle
EU-Agentur gibt 1,5 Milliarden für virtuelle Grenzen aus
Die Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen errichtet einen „Biometriespeicher“, der sich aus fünf Datenbanken zur Migrationskontrolle speist. Die Inbetriebnahme eines weiteren Informationssystems verzögert sich auf September 2023.
Von Matthias Monroy Dienstag, 01.02.2022, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.02.2022, 20:05 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Allein im Zeitraum 2014 bis 2020 haben die Agenturen Frontex und eu-LISA insgesamt 1,9 Milliarden Euro für Verträge für Grenzüberwachungs- und Grenzkontrollsysteme ausgegeben. Auf diese Zahl kommt die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch, die dafür Ausschreibungen auf der europäischen Vergabeplattform ausgewertet hat. Das Geld ging vorwiegend an große Konzerne aus dem IT-Bereich sowie an Rüstungsfirmen.
Rund ein Viertel der Summe entfällt auf Frontex. Nach der sogenannten „Migrationskrise“ hat die EU-Grenzagentur ab 2016 mit dem Aufbau einer eigenen Luftüberwachung begonnen. Dieser Flugdienst mit Chartermaschinen wurde im letzten Jahr durch Verträge für zwei große Drohnen im zentralen Mittelmeer ergänzt. Im aktuellen Haushalt fließt rund ein Sechstel des Jahresbudgets der Agentur in das Leasing der bemannten und unbemannten Luftfahrzeuge.
Halbe Million migrationsbezogene Fahndungen im SIS II
Die 2011 gegründete Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen in Estland ist zuständig für alle großen EU-Datenbanken im Bereich Justiz und Inneres. Die größte ist das Schengener Informationssystem (SIS II), in dem über eine halbe Million Menschen mit einer Ausreiseverfügung bzw. Wiedereinreisesperre nach ihrer Abschiebung gespeichert sind. Im Bereich der Migrationskontrolle betreut eu-LISA außerdem das Fingerabdrucksystem Eurodac und die EU-Visumsdatenbank.
Viele der Verträge über insgesamt 1,5 Milliarden Euro entfallen auf Konzerne wie Sopra Steria und Idemia, die mit der Wartung und Entwicklung von SIS II, Eurodac und VIS beauftragt sind. Das meiste Geld fließt jedoch in den Aufbau einer gänzlich neuen Datenbank, die nächstes Jahr in Betrieb gehen soll. 2017 hat der Rat die Verordnung über dieses Einreise-/Ausreisesystem (EES) angenommen, das alle Grenzübertritte von Drittstaatsangehörigen an den EU-Außengrenzen erfasst.
Wie im SIS II, Eurodac und VIS werden im neuen EES neben Fingerabdrücken auch Gesichtsbilder gespeichert. Diese biometrischen Daten zentralisiert eu-LISA zukünftig in einem neuen „gemeinsamen Identitätsspeicher“, dort sind sie mit einem „Abgleichsystem“ durchsuchbar. Allein das System zur Gesichtserkennung kostet über 300 Millionen Euro, auch dieses Geld erhielten die Firmen Idemia und Sopra Steria. Einen weiteren Vertrag über 140 Millionen Euro vergab eu-LISA für weitere Arbeiten an dem EES an ein Konsortium der Firmen IBM, ATOS und den Rüstungskonzern Leonardo.
Firmen für Verzögerung verantwortlich
Vermutlich handelt es sich bei dem EES um das komplexeste europäische Informationssystem seit der Einführung des SIS im Jahr 1995. Beide basieren auf einem Zentralsystem, an das in jedem Teilnahmestaat eine Verbindungsstelle angeschlossen ist. Während alle Teilnehmer auch das biometrische Abgleichsystem nutzen können, laufen auf dem zentralen Server weitere Dienste. Jeder neu eingespeicherte Datensatz wird beispielsweise auf möglicherweise bereits vorhandene Information zu dieser Person geprüft, dabei werden auch unterschiedliche Schreibweisen des Namens berücksichtigt.
Eigentlich sollte das neue Einreise-/Ausreisesystem im Mai 2023 in Betrieb gehen, dieser Zeitpunkt verschiebt sich aber auf mindestens Herbst. Die Schuld daran sieht eu-LISA vorwiegend bei den Firmen, die für dessen Aufbau verantwortlich sind. So steht es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage des EU-Abgeordneten Patrick Breyer, die MiGAZIN exklusiv vorliegt. Denn auch die Unterbrechung von „globalen Lieferketten“ sowie die Pandemie hätten zu Schwierigkeiten geführt, diese seien aber von eu-LISA gemeistert worden.
Nach EES kommt ETIAS
Jedoch habe das EES-Konsortium die Komplexität der Arbeiten zur Entwicklung und Implementierung des neuen Informationssystems „erheblich unterschätzt“. Unter anderem verfüge das Personal, das die Firmen für das Programm rekrutiert haben, nicht über das notwendige „Fachwissen in Schlüsselbereichen“. Auch habe die Koordinierung unter den Konsortiumsmitgliedern „nicht effizient“ funktioniert. Schließlich moniert eu-LISA auch die „Qualität der wichtigsten Ergebnisse“. Mehrmals seien IBM, ATOS und Leonardo aufgefordert worden, die Mängel zu beheben, diese hätten aber nicht „nicht rechtzeitig und effizient reagiert“.
Als Datum für die Inbetriebnahme des EES nennt eu-LISA nunmehr Ende September 2023. Ebenfalls mit etwas Verspätung soll dann auch das neue Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) einsatzbereit sein. Alle Reisenden, die für einen visafreien Kurzaufenthalt in den Schengen-Raum einreisen, müssen sich einige Tage vor ihrem Grenzübertritt über ein Formular online registrieren. Die Angaben werden automatisiert überprüft, anschließend erteilt das System entweder die Freigabe oder eine anfechtbare Einreiseverweigerung. Die Prozedur kostet 7 Euro, eine Reiseautorisierung ist drei Jahre gültig. (mig)
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