Gerhard Trabert
Not in der Welt ist „keine linke Propaganda“
Chancen, zum nächsten Bundespräsidenten gewählt zu werden, hat der Mainzer Arzt Gerhard Trabert nicht. Trotzdem lässt er sich als Kandidat der Linken ins Rennen schicken - damit in der Bundesrepublik wieder mehr über soziale Not geredet wird.
Von Karsten Packeiser Mittwoch, 09.02.2022, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 08.02.2022, 14:36 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Was es bedeutet, in einem der reichsten Länder der Welt arm zu sein, weiß Gerhard Trabert nicht vom Hörensagen. Der 65-jährige Professor für Sozialmedizin versorgt mit seinem Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ in Mainz seit vielen Jahren Wohnungslose und Patienten ohne Krankenversicherung. Dass Armut krank macht und die Lebenserwartung armer Menschen in Deutschland um Jahre unter der von Spitzenverdienern liegt, macht ihn wütend – das allgemeine Desinteresse daran noch mehr. Daher lässt sich der Mediziner als parteiloser Kandidat von den Linken ins Rennen um die Wahl zum Bundespräsidenten schicken.
Die Gesundheitsversorgung armer Menschen ist Traberts Lebensthema geworden. Als erster Arzt in Deutschland bekam er von der Kassenärztlichen Vereinigung die Ermächtigung, Obdachlose aufsuchend zu behandeln. Seit mittlerweile über 25 Jahren ist das Arztmobil von „Armut und Gesundheit“ aus dem Mainzer Stadtbild nicht mehr wegzudenken, in dem Trabert sich mit viel Empathie um seine Patienten kümmert. Weil die Zahl der Menschen ohne Krankenversicherung immer mehr zunahm, eröffnete der Verein später eine Ambulanz, in der sogar fachärztliche Untersuchungen und Zahnbehandlungen stattfinden. Eine im selben Gebäude ansässige Clearingstelle versucht, Menschen wieder zu einem regulären Versicherungsschutz zu verhelfen.
Trabert ist realistisch genug zu wissen, dass er in der Bundesversammlung gegen Frank-Walter Steinmeier, den Wunschkandidaten von Ampel-Regierung und CDU-Opposition, keine Chance hat. „Es geht darum, dass die Situation von sozial benachteiligten Menschen zu wenig beachtet wird“, begründet er seine Kandidatur. Viele Politiker in Deutschland seien überzeugt davon, dass es in Deutschland „nur relative Armut“ gebe und sich beispielsweise nicht alle Menschen Urlaubsreisen leisten könnten. Tatsächlich sei die Situation viel gravierender. So hätten von Armut betroffene Männer in Deutschland nur die mittlere Lebenserwartung eines Nordafrikaners. Und 30 Prozent erreichen nicht einmal das 65. Lebensjahr.
Not in der Welt ist „keine linke Propaganda“
Seit Jahren kämpft der Mediziner auch für eine humanere europäische Asylpolitik. Immer wieder besucht er Krisenregionen, reiste zu Katastrophen-Einsätzen für Erdbebenopfer in Haiti oder half beim Aufbau der Krankenversorgung in der syrischen Kurdenregion. Oft wirkt er resigniert, wenn seine dramatischen Schilderungen über das Elend der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer und in den Lagern am Rande der EU weitgehend folgenlos verhallen. „Ich versuche, Christ zu sein“, sagt Trabert über sich. Die Not in Deutschland und in der Welt sei nun einmal real und „keine linke Propaganda“.
Egal, ob es um Wohnungslosenhilfe, Asylpolitik oder das soziale Netz in Deutschland geht, in dem immer mehr Menschen keinen Halt mehr finden – um deutliche Worte war Trabert noch nie verlegen. Damit machte sich der Mediziner, der 2020 zum Hochschullehrer des Jahres gewählt worden war und im vergangenen Jahr bereits als Mainzer Direktkandidat der Linken für den Bundestag kandidierte, in der Politik nicht überall Freunde. „Bestimmte gesellschaftliche Kreise sagen mir ganz klar: Jetzt, wo du für die ‚Kommunisten‘ auftrittst, können wir dich nicht mehr unterstützen“, berichtet er. „Für die bin ich jetzt nicht mehr nur der liebe, gute Doktor, der Wohnungslose versorgt, sondern einer, der unser politisches System und unser Verteilungssystem infrage stellt.“ (epd/mig) Aktuell Politik
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