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Kino

Schuld, Buße, Rache und Folter im Abu Ghraib

Paul Schrader inszeniert in „The Card Counter“ die Geschichte eines geheimnisvollen Profizockers mit dunkler Vergangenheit als eindringliche Reflexion über Schuld, Sühne und Abu Ghraib. Ein erst auf den zweiten Blick politischer Film.

Von Mittwoch, 02.03.2022, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 02.11.2022, 10:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Das Karrierehoch des Regisseurs und Autors Paul Schrader ist eine der schönen Überraschungen im amerikanischen Independentkino der jüngeren Zeit. Nicht, dass er vorher schlechte Filme gedreht hätte, doch seine Projekte wurden immer wieder von Problemen überschattet. Bis Schrader 2017 mit „First Reformed“ ein überragender Kritiker- und ein solider Kassenerfolg gelang, Oscarnominierung inklusive.

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Mit „The Card Counter“ knüpft er an diesen Erfolg und an zahlreiche Motive früherer Arbeiten an. Mehr noch als „Dying of the Light“, der sich mit amerikanischen Vergeltungsfantasien befasste, ist „The Card Counter“ ein explizit politischer Film. Diese Ebene erschließt sich jedoch erst allmählich.

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Gespenstische Aura

Wir sehen da einen makellos frisierten und smart gekleideten Profizocker in einem Casino; aus dem Off erläutert er die Grundregeln des Blackjack, seine eigene Philosophie und wie er zu dieser Profession kam: William Tell (Oscar Isaac) saß viele Jahre in einem Militärgefängnis; wofür, ist zu Beginn unklar, aber dort erlernte er das sogenannte Kartenzählen, das die Gewinnchancen beim Blackjack deutlich erhöht – und in Casinos nicht gern gesehen wird. Hier legt Schrader die erste falsche Fährte, denn wer nun ein Zockerdrama erwartet, wird enttäuscht.

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Trotz seiner Kunstfertigkeit beim Glücksspiel bleibt Tell immer in einem überschaubaren Gewinnrahmen. Sobald die Croupiers misstrauisch werden, verschwindet er. Selten verweilt er länger an einem Ort. Tell ist ein rastlos Reisender des Glücksspiels, der die Dinge unter Kontrolle behalten und zugleich unsichtbar bleiben will. Sein Name ist ein Pseudonym, und stets folgt er dem gleichen, bizarren Ritual, sein Hotelzimmer vollständig mit weißen Laken auszukleiden: Möbel, Bilder, sogar das Bett – eine gespenstische Aura zwischen Horrorfilmsetting, Gefängnis und Gummizelle.

Folter in Abu Ghraib

Bald erfahren wir, was Tell in diese Isolation getrieben hat. Als Soldat war er an den Folterungen in Abu Ghraib beteiligt, entsetzt über sein eigenes „Talent“, das er mit einer Mischung aus Lust und Selbsthass auslebte. Sein ruheloses Leben zwischen gesichtslosen Casinos und schäbigen Motels gleicht einem selbst auferlegten Purgatorium: freudlos, weder an Gewinn noch an Adrenalin interessiert.

Mit dieser Mischung aus Charakterstudie und spezifischer Milieuzeichnung steht „The Card Counter“ in der Tradition von Schraders „Taxi Driver“, „Light Sleeper“ und – nicht zuletzt durch Tells Erscheinungsbild – „American Gigolo“. Doch anders als in diesen Filmen verwehrt er jegliche Faszination für den gezeigten Mikrokosmos. Schrader zeigt Amerika als ein zwischen Trauma und Hurrapatriotismus erstarrtes Niemandsland.

Schuld und Buße

Tells Taten werden nie relativiert, im Gegenteil. Er ist sich seiner Schuld bewusst und tut Buße. Moral, Schuld, Vergebung – das sind seit jeher Schraders große Themen. Tell macht nicht den Eindruck, als würde er auf Erlösung hoffen, und doch scheint sich ihm die Chance zu bieten, als er den jungen Collegeabbrecher Cirk (Tye Sheridan) kennenlernt, dessen Vaters ebenfalls in Abu Ghraib diente und schließlich Selbstmord beging.

Aus Rache will Cirk nun mit Tells Hilfe jenen Mann töten, der damals die grausamen Foltermethoden für die US-Armee entwickelte und vor Ort aus den Soldaten Folterknechte machte – der aber anders als die einfachen Marines nie zur Rechenschaft gezogen wurde. Auch dies entspricht den realen Ereignissen, und Schraders Zorn über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit gibt seinem Film bei aller Unterkühltheit eine schwelende Energie. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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