Selbstbewusste Locken
Alltagsrassismus: Warum Afrohaare auch politisch sind
21. März 2022, Internationaler Tag gegen Rassismus - immer noch sehen sich viele Schwarze Frauen gezwungen, ihre Haare verstecken oder sie chemisch glätten zu müssen, um sich einem westlichen Schönheitsideal anzupassen. Doch vor allem Jüngere wollen das nicht mehr. Das hat auch viel mit Selbstermächtigung zu tun.
Von Imke Plesch Montag, 21.03.2022, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.03.2022, 5:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Es ist ein intimer Moment, als Abina Ntim langsam die mit Klammern festgesteckte Perücke vom Kopf ihrer Kundin löst. Unter den schulterlangen Locken kommen die eigenen Haare zum Vorschein, die in kleinen Zöpfen aufgedreht und an der Kopfhaut festgesteckt sind. Ntim nimmt die einzelnen Zöpfe und öffnet sie: „Das sieht richtig gut aus.“ Ihre Kundin schaut in den Spiegel, zögert etwas. „Ich bin sehr glücklich, dass mir kein Haar mehr abbricht, dass die Haare gesund aussehen und sich gut anfühlen. Der nächste Schritt ist jetzt, sie offen zu tragen.“
Die Kundin heißt Mireille Ngosso und ist an diesem sonnigen Märztag aus Wien nach Hamburg gekommen, um sich bei Ntim beraten zu lassen. Sie war auf Instagram auf die Hamburgerin aufmerksam geworden, die seit einigen Jahren Pflegeprodukte und Workshops zu natürlichem Afrohaar anbietet.
„Ich habe nie mein eigenes Haar getragen“
In einem hellen Altbau treffen sich die beiden Frauen nun zum ersten Mal persönlich. Und man merkt schnell, dass es bei diesem Austausch um mehr geht als nur um das richtige Shampoo oder bestimmte Frisiertechniken. Denn ob eine Schwarze Frau ihre natürlichen Locken glättet, in Zöpfen oder offen trägt, hat viel mit Stereotypen, westlichen Schönheitsidealen und dem Wunsch nach Anpassung an eine weiße Mehrheitsgesellschaft zu tun. „Wie ist deine Beziehung zu deinen Haaren?“ ist die erste Frage, die Ntim ihren Kundinnen stellt. „Manche Leute werden da sehr emotional“, berichtet die 33-Jährige.
Auch die Beziehung von Ngosso zu ihren Haaren ist ambivalent. „Seit ich vier Jahre alt bin, habe ich nie mein eigenes Haar getragen“, erzählt die 41-jährige Ärztin, die Mitglied im Wiener Gemeinderat und Landtag ist. Stattdessen trug sie Zöpfe, Perücken, Haarverlängerungen. „Bei den meisten Afrikanerinnen ist das Haaremachen Teil der Kultur. Man hat jede Woche eine andere Frisur und ich finde es auch toll, so wandelbar zu sein.“
Westliches Schönheitsideal: glatt und hell
Ngosso kommt als Kleinkind mit ihren Eltern aus dem Kongo nach Wien. Mit 30 beginnt sie, sich politisch zu engagieren und wird in der SPÖ aktiv. „Ich weiß noch, wie gestresst ich damals war, immer möglichst glatte Haare zu haben. Du willst dazugehören und nicht negativ auffallen.“ Mit einem offenen Afro werde man leicht als Unruhestifterin wahrgenommen.
„Eine Afro-Frisur wird mit Widerstand und Unangepasstheit assoziiert“, bestätigt Ntim. Sie hat ihre Masterarbeit in Kulturanthropologie über „Natural Hair als Wissensphänomen“ geschrieben und beschäftigte sich dabei auch mit der Geschichte der Sklaverei. Je heller die Haut und je glatter die Haare der versklavten Menschen waren, desto mehr wurden sie von ihren weißen Besitzern bevorzugt. Viele Schwarze Frauen glätteten sich auch deshalb die Haare, weil sie sich an das westliche Schönheitsideal anpassen wollten.
Glätteisen, Chemie und Extensions
Als Kind, aber auch als Erwachsene, sei ihr oft ungefragt in die offenen Haare gegriffen worden, erzählt Ntim. Ihre Eltern, Mutter weiß, Vater Schwarz, glätteten ihr das Haar schon früh. Nach jahrelanger Behandlung mit Chemie, Glätteisen und Extensions wurden ihre Haare immer dünner, brachen und fielen aus. Mit Anfang 20 begann sie, deshalb im Internet über die richtige Pflege zu recherchieren. Je mehr sie sich informierte, desto mehr stellte sie ihr eigenes Schönheitsideal infrage und begann, ihre natürlichen Locken offen zu tragen. Anderen Schwarzen Frauen möchte sie zeigen: Unsere Haare sind schön, so wie sie sind.
Der Umgang mit den Haaren als identitätsstiftende Geste: Die Schwarze Black-Power-Aktivistin Angela Davis beeindruckte in den 70ern mit ihrem natürlichen Afro. Die Autorin und Feministin Chimamanda Ngozi Adichie („Americanah“) sagte sogar in einem Interview, wenn Michelle Obama ihr Haar natürlich tragen würde, hätte Barack Obama die Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen. Denn den natürlichen Haaren Schwarzer Frauen würden alle möglichen, oft negativen Bedeutungen zugeschrieben.
„Afrohaare sind immer politisch“
„Afrohaare sind immer politisch“, sagt Kokutekeleza Musebeni. Die 34-jährige Münchner Journalistin, Sängerin und Filmemacherin hat den Kurzfilm „Strong Hair“ zum Thema Afrohaare veröffentlicht. „Als Kind war das Schwarzsein immer eine große Last“, sagte sie. Sie sei viel gehänselt worden, auch mal weinend aus dem Kindergarten nach Hause gekommen. „Egal wie ich meine Haare trage, sie werden immer kommentiert“, erzählt die Tochter einer weißen Mutter und eines Schwarzen Vaters am Telefon.
Seit einigen Jahren spüre sie aber mehr Akzeptanz. „Die Black-Lives-Matter-Bewegung war ein sehr wichtiges Jahr, da haben wir viele neue Verbündete bekommen.“ Sie fordert: „Jede Frau sollte ihre Haare so tragen können, wie sie möchte, ohne Probleme im Job zu bekommen oder deswegen anders behandelt zu werden.“
„Die geben mir ein gutes Gefühl“
In Hamburg gibt Ntim ihrer Kundin aus Wien weitere Tipps, wie sie ihr Haar so pflegen kann, dass es ihr auch im offenen und natürlichen Zustand gefällt. Auf Instagram folge sie mittlerweile vielen Frauen mit einer ähnlichen Haarstruktur wie ihrer eigenen, erzählt Ngosso. „Die geben mir ein gutes Gefühl.“
Sie sei sehr dankbar, dass der Trend zu natürlichen Afrohaaren gehe. „Die jungen Schwarzen Frauen haben heute ein Selbstbewusstsein – davon war ich mit 20 weit entfernt.“ Auch wenn es oft anstrengend ist, weiß die Politikerin, dass sie auch selbst ein Vorbild ist. Und so will sie irgendwann auch in der Öffentlichkeit ihre Perücke absetzen. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel
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