„Kein Zynismus“
Tschechien erleichtert ukrainischen Geflüchteten Start in den Job
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine können sich in Tschechien sofort einen Arbeitsplatz suchen. Das Parlament in Prag hat in hohem Tempo ein Gesetz verabschiedet, das alle bürokratischen Hürden für eine Integration in den Arbeitsmarkt beseitigen soll. Als Quelle von Arbeitskraft wolle man die Menschen aber nicht betrachten.
Von Kilian Kirchgessner Dienstag, 29.03.2022, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 29.03.2022, 8:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es ist eines der tschechischen Gesetze, das am schnellsten verabschiedet wurde: „Lex Ukrajina“ nennen es die Parlamentarier, und es regelt den Zugang von ukrainischen Flüchtlingen zum Arbeitsmarkt. Künftig brauchen Geflüchtete nicht mehr zusätzlich zur Aufenthaltsgenehmigung noch ein Arbeitsvisum, für das die Behörden oft länger als ein Vierteljahr benötigten. Stattdessen können sie nun gleich nach ihrer Ankunft eine Stelle suchen. Die Regelung soll ihnen die Eingliederung im Land erleichtern.
„Wir fordern schon lange eine solche Regelung für Menschen aus Drittländern außerhalb der EU“, sagt Petr Jonak, Vorstandsmitglied im tschechischen Industrieverband. Tschechien ist das EU-Land mit der niedrigsten Arbeitslosigkeit, zuletzt waren mehrere 100.000 Stellen im Land unbesetzt – und oft waren es gerade Ukrainer, die diese Lücken füllten. Knapp 200.000 von ihnen waren im Jahr 2021 in Tschechien gemeldet, sie waren damit die mit Abstand größte Ausländergruppe. Das deutsche Wort „Gastarbeiter“ wird im Tschechischen häufig für sie verwendet.
„Wir wollen sie nicht zynisch als Quelle von Arbeitskraft betrachten.“
Mit dem Krieg hat sich die Lage allerdings grundlegend geändert: Zahlreiche Männer wurden vom ukrainischen Militär eingezogen und mussten Tschechien verlassen. Jetzt kommen täglich viele Tausend Frauen und Kinder als Flüchtlinge. Mehr als 300.000 von ihnen seien im Land, meldeten tschechische Behörden zuletzt – für das Zehn-Millionen-Einwohner-Land Tschechien ist das eine bisher unvorstellbare Zahl. „Wir wollen sie nicht zynisch als Quelle von Arbeitskraft betrachten“, sagt Jonak und betont, dass viele Firmen nicht nur Arbeitsplätze anböten, sondern auch andere Hilfe: „Sie kümmern sich um die Unterbringung, die Kinderbetreuung, vielfach gibt es Fortbildungen, Sprachkurse und so weiter.“
Beim tschechischen Gewerkschaftsbund hält man die „Lex Ukrajina“ für den richtigen Weg, um zu helfen. „Diese Leute sollen aber nicht als billige Arbeitskraft verwendet werden“, mahnt Gewerkschaftsvertreter Pavel Vlcek. Er weist darauf hin, dass zuletzt rund 73 Prozent der offenen Stellen im Land für Geringqualifizierte gewesen seien – „und der angebotene Lohn entsprach dem auch. Häufig lag er beim Mindestlohn von 16.200 Kronen, was umgerechnet einem Monatsgehalt von 700 Euro entspricht.“
Kellnerinnen, Köche, Lagerarbeiter gesucht
Vlceks große Befürchtung: Die Ukrainerinnen, die jetzt ins Land kommen, könnten Opfer von dubiosen Geschäftemachern werden. „Die Flüchtlinge kennen das Rechtssystem hier in Tschechien und generell in der EU nicht. Sie sprechen kein Tschechisch und sind deshalb leichte Opfer von mafiösen Praktiken“, sagt der Gewerkschafter.
Gleich mehrere tschechische Verbände und Organisationen haben ein Internetportal gegründet, das Arbeitgeber und ukrainische Flüchtlinge zusammenbringen soll. „JobsforUA“ heißt es, und schon nach wenigen Tagen ist dort eine dreistellige Zahl von Inseraten zu finden. Vielfach handelt es sich um Angebote für Kellnerinnen, Köche oder Lagerarbeiter.
Bedarf auf dem Fachkräftemarkt
Immer wieder sind aber auch Aufgaben für Höherqualifizierte zu finden. „Ein großer Bedarf herrscht bei qualifizierten Berufen in der Industrie wie etwa Schweißer, Dreher und Bediener von CNC-Fräsen“, sagt Petr Jonak vom Industrieverband. „Darüber hinaus sind Handwerker wie Elektriker und Installateure gefragt und Hochqualifizierte wie IT-Spezialisten, Datenanalysten, Chemielaboranten.“ Die Mitgliedsunternehmen seines Verbandes seien an einer langfristigen Zusammenarbeit interessiert.
Beim Gewerkschaftsbund werden zwei Aufgaben als vordringlich gesehen: Erstens sollten die ukrainischen Flüchtlinge, sofern sie nach ihrer oft traumatischen Flucht arbeiten wollen, direkt von den Arbeitgebern angestellt werden und nicht von Vermittlerfirmen. Zweitens müsse der Staat schnell eine Lösung für die Kinderbetreuung finden – denn für die Kinder von Geflüchteten gebe es in Schulen und Kindergärten viel zu wenige Plätze. (epd/mig) Aktuell Ausland
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