Tunesien
Leere Supermarktregale, lange Schlangen vor dem Bäcker
In Tunesien verschärft der Krieg in der Ukraine die Probleme bei der Lebensmittelversorgung. Wie in vielen Ländern auch bereiten steigende Getreidepreise auf dem Weltmarkt Sorgen. Doch die Ursprünge der Krise in Tunesien liegen tiefer.
Von Sarah Mersch Mittwoch, 30.03.2022, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 30.03.2022, 6:38 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Gerade haben sie das Regal mit Couscous aufgefüllt“, sagt eine Frau Mitte 50, die mit einer kleinen Einkaufstüte den Supermarkt in Tunis im Viertel Mahrajene verlässt. Aber Nudeln, Zucker und Reis gebe es nicht. Auch Mehl und Pflanzenöl sind Mangelware in diesen Tagen in Tunesien. Sie gehe jeden Tag einkaufen, sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sobald die Regale aufgefüllt würden, seien sie schon wieder leer. „Jeden Tag das Gleiche.“ Eine andere Kundin, in der Hand ein Brot und zwei Pakete Spaghetti, tritt aus dem Laden. Wegen des Ukraine-Krieges will sie sich nun Vorräte anlegen.
Die Bilder aus tunesischen Supermärkten ähneln sich: Überall leere Regale, versehen mit Hinweisen zur Rationierung. „Liebe Kunden, bitte kaufen Sie nicht mehr als zwei Kilo Mehl, Zucker Reis und Gries“, heißt es etwa. Oder: „Maximal zwei Pakete pro Person“. In verschiedenen Regionen im Landesinneren bilden sich teils lange Schlangen vor den Bäckereien, denn auch deren Lieferketten sind seit Wochen gestört. Durch den Krieg in der Ukraine droht dem nordafrikanischen Land nun eine weitere Verschärfung der Versorgungslage.
Seit Beginn des russischen Angriffs sind die Weizenpreise auf dem Weltmarkt in die Höhe geschnellt. Russland und die Ukraine sind für mehr als ein Viertel der globalen Weizenexporte verantwortlich, vor allem Menschen im arabischen Raum sind von Lieferungen aus den beiden Ländern abhängig. Auch Tunesien bezieht rund die Hälfte seines Getreides aus der Ukraine und Russland.
Auf jeden Tropfen Wasser achtgeben
Kürzlich noch versicherte das Landwirtschaftsministerium, der Bedarf des Landes an Weizen sei bis Mai gedeckt, der an Gerste bis Juni. Doch was danach kommt, macht vielen Tunesiern und Tunesierinnen Sorgen. Der Getreideimport unterliegt in Tunesien einem staatlichen Monopol. Ohne die stark subventionierten Grundnahrungsmittel wie Nudeln, Gries und Brot hätten viele Einwohner des Billiglohnlands nicht genug zu essen.
Zuletzt hatte der Staat die einzigen zwei eingegangenen Angebote für Weichweizen und Gerste abgelehnt, weil die Preise zu teuer waren. Mit den weiteren Preisanstiegen dürfte der Einkauf in Zukunft noch schwieriger werden. Man müsse jetzt „auf jedes Korn Weizen oder Gerste“, auf jeden Tropfen Wasser achtgeben, sagte Zentralbankchef Marouen Abbassi vergangene Woche. Auch der Gründer der Gewerkschaft der tunesischen Landwirte, Leith Ben Becher, warnte vor Mangelernährung in der Bevölkerung.
Export statt Eigenbedarf
Der Ukraine-Krieg verschärft die Probleme bei der Versorgung, doch deren Ursprünge liegen weiter zurück. Tunesien habe keine richtige Agrarstrategie, um sich unabhängiger von Preisschwankungen auf dem Weltmarkt zu machen, sagt Thomas Claes vom Tunesien-Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Statt primär für den Eigenbedarf anzubauen, setze man auf den Export devisenbringender Produkte wie Erdbeeren oder Himbeeren.
Zudem habe die Corona-Pandemie die Wirtschaftskrise des Landes verschärft. Durch den Einbruch des Tourismus fehlten Devisen, um bei den stetig steigenden Weltmarktpreisen von Getreide und Düngemitteln mithalten zu können.
„Das kann sehr schnell zu sozialen Unruhen führen“
Weitere Engpässe könnten auch die politische Lage anheizen, die seit der Machtübernahme des Präsidenten Kais Saied ohnehin angespannt ist. Steigerungen der Brotpreise haben in Tunesien in der Vergangenheit immer wieder Proteste ausgelöst. „Das kann sehr schnell zu sozialen Unruhen führen, die dann auch schnell außer Kontrolle geraten können“, sagt Claes.
Saied, der sich bisher vor allem um politische Themen wie Verfassungsreformen gekümmert hatte, erklärte am Dienstag derweil, die Grundnahrungsmittel seien in ausreichender Menge vorhanden. Den Medien warf er vor, das Problem aufzubauschen. Zugleich kündigte er ein hartes Vorgehen gegen Spekulanten an. (epd/mig) Aktuell Ausland
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