AfD-Richter im Dienst
„An manchen Gerichten unmöglich, Asylverfahren zu gewinnen.“
Asylbewerber aus afrikanischen Ländern haben an manchen Gerichten und bei bestimmten Richtern keine Chance. Bei rechten Tätern hingegen gibt es milde Urteile. Ein zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss übt jetzt scharfe Kritik an der Thüringer Justiz. Der Minister begrüßt die Debatte, die Linkspartei fordert Konsequenzen.
Donnerstag, 21.04.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 22.04.2022, 8:39 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Vorwürfe wiegen schwer: Am Verwaltungsgericht Gera etwa sei es nahezu unmöglich, ein Asylverfahren zu gewinnen, wenn der Antragssteller aus einem afrikanischen Land komme. Und dieser Umstand sei nicht neu, sondern „seit langem ein offenes Geheimnis“. In dem „Forderungspapier zur Justiz in Thüringen“ fordert ein Zusammenschluss mehrerer zivilgesellschaftlicher Organisationen ein entschiedeneres Vorgehen gegen rechtsextreme Richter und Staatsanwälte. Zu den Unterzeichnern des Papiers gehören unter anderem die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (Mobit), die Opferberatungsorganisation ezra, der Landesflüchtlingsrat und der AWO-Landesverband.
Die Organisationen sind besorgt, dass ein Teil der Thüringer Entscheidungspraxis im Asylverfahren „stark abhängig“ vom zuständigen Gericht und von den Richtern sei. Zwei im Forderungspapier namentlich genannte Richter seien auch schon damit aufgefallen, an Wahlpartys für AfD-Kandidaten und Landtagsabgeordneten teilgenommen zu haben. Im Facebook-Profil von Richtern befänden sich „Freundschaften“ mit AfD-Politikern. Am Gerichtsstandort Gera gebe es weitere Richter mit einer Nähe zur AfD. Ein Arbeitsrichter soll selbst Mitglied der AfD sein. Das Gericht verwende die rechts-nationale Zeitung „Junge Freiheit“ als Erkenntnisquelle.
Grund zu Sorge bietet laut den Unterzeichnern zudem Strafverfahren gegen rechte Straftäter. Beispielhaft führen die Unterzeichner den Neonazi-Überfall auf eine Feier einer Kirmesgesellschaft in Ballstädt auf, „bei dem weder die Staatsanwaltschaft noch das Gericht trotz eindeutiger Hinweise eine rechte Tatmotivation erkannte“, so die Kritik. Die Betroffenen hatten über acht Jahre auf eine rechtskräftige Verurteilung der Täter warten müssen. Am Ende stand ein Deal zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft, wodurch die Täter mit milden Strafen und Einstellungen davonkommen sind.
Verschleppte Verfahren, milde Strafen
Die Organisationen beklagen einen „immer wieder“ problematischen Umgang der Thüringer Justiz mit rechtsmotivierten Straftaten: „Haftbefehle werden selten beantragt, Verfahren über Jahre verschleppt oder ganz eingestellt. Wenn es doch zu Verurteilungen kommt, sind die Strafen häufig mild“, so die Organisationen.
So sei das Verfahren gegen die Täter des bewaffneten Neonazi-Angriffs auf zwei Jugendliche im Juni 2013 in Nordhausen nach sechseinhalb Jahren wegen überlanger Verfahrensdauer eingestellt worden. Ähnlich sei der Neonazi-Überfall auf ein Jugendzentrum 2016 in Erfurt ausgegangen. Dort wurden nur zwei von neun ermittelten Tätern angeklagt, wobei das Verfahren gegen einen Angeklagten eingestellt und der andere freigesprochen wurde wegen eines über viereinhalb Jahre verschleppten Verfahrens.
Kontinuierliche Untererfassung rechter Gewalttaten
Nach dem Angriff auf zwei Journalisten bei Fretterode habe es dreieinhalb Jahre gebraucht, bis die Hauptverhandlung begann. „Trotz eindeutiger Zeugenaussagen und Bildmaterial, die die Täter identifizierten, wurden Haftbefehle nicht beantragt“, so die Kritik.
Die Nicht-Anerkennung rechter Tatmotive reihe sich ein in eine „kontinuierliche Untererfassung rechts-motivierter Straftaten durch staatliche Behörden“. Ein Grund seien erhebliche Probleme bei der Einordnung von Straftaten durch die Polizei. Während das Thüringer Innenministerium für 2020 von 62 rechten Gewaltdelikten ausgehe, würden von ezra im gleichen Zeitraum 102 Fälle registriert.
Forderungskatalog mit 20 Punkten
„Wie diese Bespiele aufzeigen, scheint es in Thüringen vielfältige Probleme innerhalb von Strafverfolgungsbehörden und Justiz, im Asylverfahren ebenso wie in Ermittlungs- und Strafverfahren bzgl. rechtsmotivierter Straftaten sowie bei deren Bewertung zu geben“, so die Unterzeichner. Es werde deutlich, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt, sondern um strukturelle Probleme.
In dem Papier, das insgesamt etwa zwanzig Punkte umfasst, fordern die zivilgesellschaftlichen Gruppen unter anderem eine bessere Datengrundlage, etwa durch eine jährliche Statistik über den Ausgang der Gerichtsverfahren im Asylbereich und Entscheidungsquoten der einzelnen Kammern der Verwaltungsgerichte. Außerdem solle die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte im Asylverfahren nach Herkunftsländern geändert und die Ausbildung von Juristen modernisiert werden.
Linke: Rechtes Justizproblem in Thüringen
Justizminister Dirk Adams (Grüne) zeigte sich einer dpa-Meldung zufolge offen gegenüber dem Forderungskatalog. Man werde sich im Justizministerium mit dem Papier auseinandersetzen. Allerdings könnten nicht alle Vorschläge umgesetzt werden.
Linke-Landtagsabgeordnete Katharina König-Preußen sieht dringenden Handlungsbedarf: „Das Forderungspapier zeigt besorgniserregende Entwicklungen auf“ und, „dass es in Thüringen ein rechtes Justizproblem gibt“. Taten würden verharmlost, Täter nicht belangt und für Opfer gebe es keine Gerechtigkeit. „Die immer wiederkehrende Erklärung der ‚Unabhängigkeit der Justiz‘ kann in diesen Fällen keine Antwort sein“, so die Abgeordnete. Gefragt sei auch die Thüringer Justiz gefragt, Teil der Lösung und nicht des Problems zu sein. (mig) Leitartikel Panorama
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