Ankommen bei Geschwistern
„Dankbar, dass Deutschland Juden jetzt hilft.“
Rund 5.000 jüdische Geflüchtete sollen Schätzungen zufolge aus der Ukraine nach Deutschland kommen. In Frankfurt am Main kümmert sich die jüdisch-orthodoxe Chabad-Gemeinde um die Menschen.
Von Carina Dobra Donnerstag, 28.04.2022, 18:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 28.04.2022, 14:14 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Es riecht nach Mittagessen in den Fluren des Gemeindezentrums der jüdischen Chabad-Gemeinde im Frankfurter Westend. Männer mit Kippa eilen treppauf treppab, von oben hallt Kinderlachen durch die Gänge. Sasha Malik ist vor einigen Wochen mit ihren beiden Kindern Valentin und Margarita aus Mykolajiw in der südlichen Ukraine geflohen. Ihren 31-jährigen Mann musste sie zurücklassen. Er kämpft für sein Land. Nur über WhatsApp steht das Paar in Kontakt.
Die kleine Familie ist eine von vielen, die in der orthodoxen Chabad-Gemeinde einen Zufluchtsort gefunden haben. Die Gemeindemitglieder bieten Sprachkurse und ein warmes Mittagessen für Geflüchtete an, kümmern sich um die Kinder. Einige der geflüchteten Familien sind bereits in Wohnungen untergebracht, Sasha und die Kinder wohnen noch in einem Frankfurter Hotel.
Vereinfachte Einwanderungsregeln für ukrainische Juden
Deutschlandweit sind nach Angaben der Jüdischen Gemeinde Berlin von Mitte März bislang etwa 3.000 jüdische Flüchtlinge angekommen. Viele davon werden von der Gemeinde selbst versorgt. Die Hilfsbereitschaft ist enorm. Die meisten Mitglieder jüdischer Gemeinden sind nach dem Fall der Sowjetunion selbst geflohen. Vor einigen Wochen hat das Bundesinnenministerium vereinfachte Einwanderungsregeln für ukrainische Juden erlassen. Sie können Anträge jetzt auch in Deutschland stellen. Bisher musste dies im Herkunftsland bei der Deutschen Botschaft geschehen.
Wer Sasha Malik sieht, glaubt kaum, was hinter der jungen Mutter liegt. Sie lacht viel, erzählt, zeigt Fotos und Videos ihrer Flucht auf dem Handy. Auch die beiden Kinder, der dreijährige Valentin und seine siebenjährige Schwester Margarita, kurz „Rita“, machen einen fröhlichen Eindruck.
„Das sind unsere Brüder und Schwestern.“
Valentin flitzt im Spielzimmer um die kleinen bunten Tische, schiebt das Feuerwehrauto hin und her. Nur vom Spielzeug-Gewehr hält er Abstand, wie Sterni Havlin von der Chabad-Gemeinde erzählt. „Das scheint ihm nicht geheuer zu sein“, sagt die 43-jährige mehrfache Mutter. Für sie ist die Hilfe für die Geflüchteten selbstverständlich: „Das sind unsere Brüder und Schwestern.“
Zehn Tage lang verbrachte die Familie Malik im Bunker. Sasha zeigt Bilder und Videos von der Zeit. Eng an eng sitzen sie auf dem kargen Boden, haben dicke Jacken, Mütze und Schal an. Mit einem Bus konnten sie schließlich über die Slowakei nach Deutschland flüchten. „Ich wusste nicht, wo es hingeht“, erzählt Sasha. Weil ihre jüdische Heimatgemeinde in engem Kontakt mit der Frankfurter Chabad-Gemeinde stand, landete die ukrainische Familie schließlich in der Stadt am Main.
Gebete wichtig für geflüchtete Jüdinnen und Juden
Bereits am ersten Freitag nach ihrer Ankunft feierte Sashas Familie gemeinsam mit Familie Havlin Schabbat. Stolz zeigt die Mutter Fotos ihrer beiden verkleideten Kinder. Tochter Rita hatte ihre hellblonden Haare seitlich zu zwei Zöpfen geflochten und mit blauen und gelben Haargummis umwickelt.
Die Gemeinschaft und die Gebete seien besonders wichtig für die geflüchteten Jüdinnen und Juden, berichtet Rabbiner Yosef Havlin, der gerade im Innenhof mit ein paar anderen Gemeindemitgliedern eine Regenplane über einen langen Tapezier-Tisch spannt. Die Gemeinde verteilt seit einigen Tagen Lebensmittel-Tüten für Bedürftige.
„Dankbar, dass Deutschland Juden jetzt hilft.“
Auch Sasha packt sich ein paar Matzen, Brotfladen, in den Kinderwagen. Gerade in Deutschland gelandet zu sein, war für Sasha im ersten Moment seltsam, wie sie erzählt: „Meine Oma hat die Blockade von Leningrad überlebt und mir schlimme Sachen über die Deutschen erzählt. Als Kind habe ich davon manchmal Albträume gehabt.“ Die sonst so aufgeweckte Frau hält kurz inne und schluckt.
„Aber die Zeit hat sich geändert. Und ich bin dankbar, dass Deutschland den Juden jetzt hilft.“ Heute seien Russland und Putin in die Rolle der Nazis geschlüpft, sagt Sasha. Dann werden ihre Gesichtszüge wieder weicher: Sie fühle sich wohl in Deutschland, sei froh über den Kontakt zu anderen Jüdinnen und Juden. Trotzdem hofft die junge Frau, dass der Krieg bald aufhört und sie in ihr Heimatland zurückkehren kann. (epd/mig) Aktuell Panorama
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