Wohnungsmarkt
Expertin warnt: Stimmung gegen Ukrainer könnte kippen
Die wohlwollende Stimmung gegenüber den Ukraine-Flüchtlingen könnte nach Einschätzung der Wirtschaftspsychologin Kumbruck umschlagen. Grund sei der eklatante Wohnraummangel. Innenministerin Faeser sieht eine Beruhigung der Flüchtlingssituation in Deutschland.
Von Martina Schwager Sonntag, 15.05.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 15.05.2022, 12:25 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die Osnabrücker Wirtschaftspsychologin Christel Kumbruck hat vor dem Hintergrund der nach Deutschland kommenden ukrainischen Kriegsflüchtlinge vor einer weiteren Polarisierung der Gesellschaft gewarnt. Die bislang eher wohlwollende Stimmung gegenüber den Ukraine-Flüchtlingen könnte etwa wegen des seit Jahren eklatanten Wohnraummangels bei einem Teil der Bevölkerung umschlagen, sagte Kumbruck in einem Gespräch mit dem „Evangelischen Pressedienst“. Viele Menschen mit geringem Einkommen konkurrierten mit den Flüchtlingen um günstige Wohnungen. „Da entwickeln sich Ängste und Widerstände gegen diejenigen, die ihnen etwas wegnehmen könnten.“
Diese Spaltung der Gesellschaft in Flüchtlingshelfer und Flüchtlingsskeptiker habe sich bereits seit 2015 gezeigt, als vermehrt Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kamen, sagte die Professorin für Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt interkulturelle Psychologie an der Hochschule Osnabrück. Die eher weltoffenen, neugierigen, häufig akademisch gebildeten Kosmopoliten unterstützten die Geflüchteten. „Für viele ist das wie eine Art Weltreise, ohne dass sie sich selbst auf den Weg machen müssen.“ Bei den eher auf Sicherheit bedachten Traditionalisten, denen Sesshaftigkeit wichtig sei, überwiege die Angst vor dem Fremden. Sie lehnten Einwanderer, egal aus welchen Gründen diese kämen, eher ab.
Kumbruck und ihr Team haben gemeinsam mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einem Forschungsprojekt untersucht, was Menschen zum Engagement in der Flüchtlingsthematik bewegt. Vier Jahre lang haben sie sich mit Motiven, Werten und Vorurteilen der Flüchtlingshelfer und der Flüchtlingsskeptiker beschäftigt. In diesen Tagen erscheint dazu im Springer-Verlag das Buch „Spannungsfeld Flüchtlinge – ein psychologischer Blick auf Engagierte und die Dialogkultur“ erschienen. Am Dienstag werden Ergebnisse auf einer Online-Tagung der Hochschule präsentiert.
Stimmung geprägt von Misstrauen
Alarmierendes Ergebnis der Studie sei, dass sich die Menschen mit ihren Einschätzungen unversöhnlich gegenüberstünden, betonte Kumbruck. Die Stimmung sei geprägt von Misstrauen, Frustration, Vorurteilen und erhobenem Zeigefinger auf beiden Seiten. Die Polarisierung werde verschärft durch soziale Ungleichheit, das Gefühl, von der Politik keine Unterstützung zu bekommen, und die Hasskultur in den sozialen Medien. „Das birgt die Gefahr der Radikalisierung und der Bildung von Schattengesellschaften und Clans, die nach eigenen Gesetzen leben.“
Die Psychologin appellierte an die Politik, Dialogforen zu entwickeln und Weiterbildungen zu forcieren, die das Miteinander und das Aushandeln von Konfliktlösungen propagierten – „von der Krabbelgruppe bis zum VHS-Kurs für Rentner“. Den Menschen müsse deutlich werden, dass es ein Gewinn sei, miteinander und nicht nebeneinander in einer vielfältigen Gesellschaft zu leben. „Wir müssen wieder ein Ethos des guten Miteinanders etablieren.“
Faeser: Zahl der Ukraine-Flüchtlinge geht zurück
Derweil erklärte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), dass sich die Flüchtlingssituation in Deutschland wieder beruhigt. „Pro Tag kommen derzeit nur noch ungefähr 2.000 Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland an“, sagte Faeser der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Mitte März seien es noch 15.000 Menschen pro Tag gewesen. Zugleich kehrten inzwischen täglich 20.000 Geflüchtete über die polnisch-ukrainische Grenze in ihr Heimatland zurück, darunter seien auch Frauen und Kinder, die nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar in Deutschland Schutz gesucht hätten.
Sie gehe davon aus, „dass die Mehrheit der Menschen wieder zurückkehren wird“, sagte Faeser. „Ein Teil wird bleiben, wenn die Menschen die Chance sehen, mit ihrer Qualifikation auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen“. Faeser lobte die anhaltende Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung. „Die Geflüchteten werden hier sehr gut aufgenommen – da kippt im Moment nichts“, betonte die Ministerin, sagte aber auch: „Es bleibt eine große humanitäre Kraftanstrengung, die geflüchteten Frauen, Kinder und alten Menschen bestmöglich zu versorgen.“ Laut dem Bundesinnenministerium sind mehr als 700.000 Ukrainer in Deutschland registriert. (epd/mig) Aktuell Panorama
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