„Wahrlügen“
Staatsanwalt will im KZ-Prozess fünf Jahre Haft für Josef S.
Die Forderung des Staatsanwalts im Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen überschreitet das Mindesthaftmaß von drei Jahren: Die Anklage erkennt als erschwerende Merkmale Heimtücke und Grausamkeit an.
Dienstag, 17.05.2022, 17:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.05.2022, 14:55 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Staatsanwaltschaft hat im Prozess gegen einen früheren Wachmann des KZ Sachsenhausen eine fünfjährige Haftstrafe für den 101-jährigen Angeklagten gefordert. Es gebe keinen Zweifel, dass Josef S. als SS-Mann in Sachsenhausen tätig war, sagte Staatsanwalt Cyrill Klement in seinem Plädoyer am Dienstag in Brandenburg an der Havel. Mit einem Urteil wird für den 2. Juni gerechnet. (Az.: 11 Ks 4/21)
Der Angeklagte habe sich nicht nur mit den Zuständen im Lager abgefunden, sondern dort sogar Karriere gemacht, sagte Klement. Er habe nicht die Möglichkeit einer Versetzung genutzt. Auch habe kein Befehlsnotstand vorgelegen. Die Beförderung des Angeklagten zum SS-Rottenführer während seiner Zeit im KZ sei „keine Selbstverständlichkeit“.
Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mehr als 3.500 Fällen vor. Der Angeklagte war den Ermittlungen zufolge in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 als SS-Wachmann in Sachsenhausen tätig. Der in Litauen geborene Baltendeutsche bestreitet dies. Zahlreiche Unterlagen sprechen jedoch dafür. Im Fall einer Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord droht eine Haftstrafe zwischen drei und 15 Jahren.
Mit den Morden zumindest abgefunden
Der Prozess vor dem Landgericht Neuruppin hatte Anfang Oktober vergangenen Jahres begonnen. Er findet nicht in Neuruppin, sondern in der Nähe des Wohnortes des Angeklagten in Brandenburg an der Havel statt, weil Josef S. laut Gutachter nur wenige Stunden am Tag verhandlungsfähig ist.
Im Zusammenhang mit der im KZ eingesetzten Genickschussanlage betonte der Staatsanwalt am Dienstag in seinem Plädoyer, der Angeklagte habe sich mit diesen Morden zumindest abgefunden. Seine Beihilfe habe in der physischen und psychischen Unterstützung der Taten bestanden. Bei den Morden im KZ Sachsenhausen durch Erschießung, Vergasung und lebensfeindliche Lebensbedingungen nannte der Staatsanwalt als erschwerende Umstände die Merkmale der Grausamkeit und der Heimtücke.
„Wahrlügen“
Der Staatsanwalt bezichtigte den Angeklagten, eine Entwicklung des „Wahrlügens“ hinter sich zu haben. Klement äußerte gleichwohl großen Respekt dafür, dass der 101-Jährige sich nicht durch Übertreibung seiner Gesundheitsprobleme dem Verfahren entzogen habe.
Nebenklageanwalt Thomas Walther bezeichnete das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß als angemessen. Erst nach dem Urteil werde über die Haftfähigkeit des Angeklagten entschieden. Nebenkläger seien „keine rachedurstigen Engel“, sondern Menschen, die nach vielen Jahren das ihren Angehörigen angetane Unrecht beim Namen hören wollten, betonte Walther: „Sie haben es gehört, das ist das Verdienst dieses Gerichts.“
„Freispruch nicht erwartbar“
Ein Freispruch sei nicht erwartbar, sagte Verteidiger Stefan Waterkamp. Unter normalen Umständen sei eine Haft von drei Jahren das „bestmögliche Ergebnis“. Ein niedrigeres Strafmaß käme demnach nur unter ganz bestimmten Bedingungen in Betracht.
Im KZ Sachsenhausen waren zwischen 1936 und 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende von ihnen wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben. (epd/mig) Aktuell Panorama
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