Revolutioänes Multikulti
Vor 50 Jahren startete „Raumschiff Enterprise“ in Deutschland
Vor 50 Jahren brach das „Raumschiff Enterprise“ im deutschen Fernsehen auf seine Mission durchs Weltall auf. Der tiefgründige soziologische Hintergrund wurde erst später erkannt. Entstanden ist die Zukunftsutopie einer vereinten Menschheit in Zeiten von Vietnamkrieg und Rassendiskriminierung.
Von Holger Spierig Donnerstag, 26.05.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 26.05.2022, 14:16 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Auf deutschen Schulhöfen wetteiferten im Jahr 1972 Kinder darum, wer die Finger so gekonnt zum Vulkaniergruß abspreizen konnte wie Mr. Spock. Am Samstag, dem 27. Mai 1972, um 17.45 Uhr war es auch in Deutschland so weit: Sechs Jahre nach dem Sendestart in den USA flimmerte im ZDF „Raumschiff Enterprise“ („Star Trek“) über die Fernsehmattscheiben. „Der Weltraum. Unendliche Weiten“, stimmte der Vorspann ein. Die Abenteuer um den wagemutigen Captain Kirk und den nüchternen Vulkanier Mr. Spock wurden schnell Kult.
Bereits nach den ersten Folgen sei der von Leonard Nimoy gespielte Spock bei den Kindern beliebter als andere Serien-Helden wie „Tarzan“ oder „Daktari“, schrieb die TV-Zeitschrift „Gong“ damals. Dabei sei er weder bärenstark, noch besonders lustig. „Der eher abschreckend aussehende Mr. Spock ist nichts weiter als außergewöhnlich klug, und das imponiert den jungen Zuschauern.“
Soziologischer Hintergrund
Als „Raumschiff Enterprise“ in Deutschland startete, hätten vor allem „die schön erzählten Weltraum-Abenteuer, die bunten Farben und diese tollen technischen Visionen“ im Vordergrund gestanden, erinnert sich der „Star-Trek“-Experte Hubert Zitt. Der Informatikdozent am Campus Zweibrücken der Hochschule Kaiserslautern hält bundesweit Vorlesungen zur Technik in der Kultserie. Der tiefgründige soziologische Hintergrund von „Star Trek“ sei zunächst nicht erkannt worden, sagte er. Auch die deutsche Synchronisation habe die Serie auf eine Kinder- und Jugendsendung getrimmt.
Erst später seien die positiven Zukunftsutopien einer vereinten Menschheit gewürdigt worden, die der Schöpfer der Serie, Gene Roddenberry (1921-1991), in Zeiten von Vietnamkrieg und Rassendiskriminierung in die Weltraumserie eingebaut hatte. „Diese positive Sichtweise einer möglichen Zukunft, auf die wir uns freuen können, hat viel dazu beigetragen, dass die ‚Star Trek‘-Serien bis heute so beliebt sind“, ist Zitt überzeugt.
Revolutionäre multikulturelle Besatzung
Zu den Fans der Serie in den USA gehörte auch der Bürgerrechtler Martin Luther King. Als die schwarze Schauspielerin Nichelle Nichols – frustriert über ihre kleine Rolle als Kommunikationsoffizierin Uhura – aus der Serie aussteigen wollte, beschwor King sie, weiterzumachen, wie die Schauspielerin in ihrer Autobiografie schrieb. So kam es dann 1968 zum ersten Filmkuss in den USA zwischen einer Schwarzen und einem Weißen, zwischen Uhura und dem von William Shatner gespielten Captain Kirk. In einigen Bundesstaaten im Süden der USA soll damals die Folge aus dem Programm gekippt worden sein.
Revolutionär war in Zeiten des Kalten Krieges auch die multikulturelle Besatzung, zu der nicht nur der japanische Steuermann Sulu, sondern auch der russische Navigationsoffizier Chekov gehörte. Mit seiner 400 Mann starken Besatzung versah die „USS Enterprise“ so etwas wie eine UN-Mission im Weltraum. Oberstes Gesetz – die erste Direktive – war die Nichteinmischung und der Respekt vor fremden Kulturen. Konflikte wurden nur selten mit Waffen, sondern mit Diplomatie gelöst.
Kopie der NS-Diktatur
Wegen der großen Resonanz auf die Serie legte das ZDF nach den ersten 20 Folgen noch zweimal nach. Nach 39 von insgesamt 79 Folgen war in Deutschland dann aber erstmal Schluss. Erst mit dem Einzug des Privatfernsehens in den 80er Jahren wurden auch fast alle restlichen Folgen gezeigt. „Sat.1“ wurde in Deutschland der „Star Trek“-Haussender, der auch die späteren „Star Trek“-Serien ausstrahlte.
Lediglich eine einzige Folge der Originalserie sollte in Deutschland erst 1996 veröffentlicht werden und zunächst nur als Video: In „Schablonen der Gewalt“ (Patterns of Force) stoppt die Enterprise das Experiment eines verirrten Historikers, der auf einem Planeten eine Kopie der NS-Diktatur installiert hat. Die Folge strotzt vor Nazi-Symbolik mit SS-Runen und Hakenkreuzen, Kirk trägt zur Tarnung eine Gestapo-Uniform.
NS-Auseinandersetzung verpasst
„Die Botschaft mag sogar gut gemeint sein. Das ändert aber nichts daran, dass sie gefährlicher Unfug ist“, schreiben Mike Hillenbrand und Thomas Höhl in ihrem Buch „Wie Captain Kirk nach Deutschland kam – Star Trek in Deutschland“. Als ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema Nationalsozialismus habe die Episode „leider gnadenlos“ versagt.
Fast genau zehn Jahre nach ihrem letzten Flug in den USA wurde der Großteil der Originalmannschaft 1979 noch einmal für das Kino reaktiviert, es entstand „Star Trek – Der Film“. Bald darauf trat im Fernsehen eine neue Generation der Enterprise-Besatzung ihren Dienst an, beginnend mit „Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert“.
Vulkaniergruß, eine jüdische Segnungsgeste
Heute ist „Star Trek“ (zu deutsch „Zug zu den Sternen“) weltweit erfolgreich. Die Bilanz von mehr als 50 Jahren umfasst mit den Nachfolgeserien fast 800 Fernsehfolgen, 13 Kinofilme und unzählige Romane, Comics und Computerspiele. Noch heute versorgen Nachfolgeserien wie „Star Trek – Discovery“ und „Picard“ die Fans. In Deutschland huldigte Michael „Bully“ Herbig im Jahr 2004 der Originalserie mit der Kino-Komödie „(T)Raumschiff Surprise – Periode 1“.
Der 2015 gestorbene Spock-Darsteller Leonard Nimoy enthüllte erst Jahre nach der Originalserie, was es mit dem bis heute so beliebten Vulkaniergruß auf sich hat: Er gehe zurück auf eine jüdische Segnungsgeste, die ihn als Kind beim Synagogenbesuch fasziniert habe. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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