Ausländische Saisonarbeiter
„Politik muss Rahmen für faire Arbeitsbedingungen schaffen“
Auf Spargel- und Erdbeerfeldern laufen die Arbeiten derzeit auf Hochtouren. Dafür kommen viele ausländische Saisonarbeitskräfte nach Deutschland. Politologin Franziska Laudenbach untersucht die Beschäftigungsverhältnisse, die in ihren Augen oft nicht gerecht geregelt sind. Im Gespräch erklärt sie, warum sie den Gesetzgeber und die Verbraucher in der Pflicht sieht.
Von Dieter Sell Mittwoch, 01.06.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 02.06.2022, 5:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Gerade laufen Spargel- und Erdbeerernten auf Hochtouren. Dafür und für nachfolgende Obst- und Gemüseernten kommen jährlich viele Saisonarbeitskräfte nach Deutschland. Im Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen beschäftigt sich die Politologin Franziska Laudenbach mit den Beschäftigungsverhältnissen, die in ihren Augen oft nicht gerecht geregelt sind. Um Verbesserungen zu erreichen, sieht sie den Gesetzgeber und die Verbraucher in der Pflicht.
Frau Laudenbach, Sie setzen sich kritisch mit Saisonarbeit beispielsweise in der laufenden Spargel- und Erdbeerernte auseinander. Wo liegen die Probleme?
Franziska Laudenbach: Damit die Ernte überhaupt geschafft werden kann, kommen jedes Jahr Saisonarbeitskräfte vielfach aus osteuropäischen Nachbarländern nach Deutschland. Das sind kurze und begrenzte Beschäftigungsverhältnisse, die in der Regel sozialversicherungsfrei sind. So sind die Leute oft schlecht abgesichert, was die Krankenversicherung angeht. Und es gibt während der Saisonarbeit keine Zahlungen für die Rente, was zu Lücken im Versicherungsverlauf führt und das Armutsrisiko der Betroffenen verstärkt. Dazu wird oft mit Tricks der Mindestlohn umgangen, der eigentlich gezahlt werden muss.
Wie das?
„Aber es muss auch Menschen geben, die dann hingehen und die Einhaltung dieser Regeln überprüfen, um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Kontrollen sind das A und O.“
Franziska Laudenbach: Beispielsweise dadurch, dass weniger Arbeitsstunden aufgeschrieben werden als tatsächlich geleistet wurden. Wenn nur vier Stunden abgerechnet werden und eigentlich zwölf Stunden gearbeitet wurden, so ist das im Ergebnis natürlich deutlich unter dem Mindestlohn. Oft können die Beschäftigten das aufgrund von Sprachproblemen oder weil die Dokumentation intransparent ist gar nicht nachvollziehen. Auch die Unterkunft kann in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, weil nicht selten eine viel zu hohe Miete vom Lohn abgezogen wird. Und gemessen an den Standards von Platz, Ausstattung und hygienischen Verhältnissen sind die Unterkünfte oft miserabel. Natürlich passiert das nicht auf allen Höfen. Aber es ist ein nicht zu unterschätzendes Problem.
Wie könnte da gegengesteuert werden?
Franziska Laudenbach: Natürlich mit Gesetzen – aber auch wir als Verbraucher sind gefragt. So wäre es gut, wenn es hier in Deutschland eine Krankenversicherung für alle Saisonarbeitskräfte gäbe. Und wichtig ist eben auch, dass der Mindestlohn eingehalten wird, dass die Leute gut und finanziell angemessen untergebracht sind. Insgesamt gibt es schon eine ganze Reihe von Gesetzen. Aber es muss auch Menschen geben, die dann hingehen und die Einhaltung dieser Regeln überprüfen, um ausbeuterische Arbeitsverhältnisse zu verhindern. Kontrollen sind das A und O.
Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die Situation schwer zu durchschauen. Ich habe mich persönlich dafür entschieden, möglichst auf Höfen in der Nähe oder in der Region einzukaufen, auch wenn die Erdbeeren da etwas teurer sind. Da kann ich selber noch am besten abschätzen, wie die Arbeitsbedingungen der Erntehelferinnen und Erntehelfer sind. Doch am Ende muss die Politik den Rahmen für faire Arbeitsbedingungen schaffen. Schließlich ist doch klar: Ohne die Saisonarbeitskräfte könnten die Bauern vielerorts ihre Spargel-, Erdbeer-, Obst- und Gemüseernte gar nicht einfahren. (epd/mig) Interview Leitartikel Wirtschaft
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