Bachelets Abgang
UN-Menschenrechtskommissarin verzichtet auf zweite Amtszeit
Sie war Folteropfer, Präsidentin, hohe UN-Beamtin. Nun kündigte Michelle Bachelet an, dass sie keine zweite Amtszeit als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte anstrebt. Zuletzt stand sie nach einer China-Reise in der Kritik, weil sie zu den Verbrechen an der muslimischen Minderheit der Uiguren keine klaren Worte gefunden hatte.
Von Julia Kaperdos und Jan Dirk Herbermann Dienstag, 14.06.2022, 21:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.06.2022, 17:40 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Sie weiß, wie es ist, wenn Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind. Michelle Bachelet hat es am eigenen Leib erfahren müssen. Als UN-Hochkommissarin für Menschenrechte ist die Chilenin bis August so etwas wie die oberste Beauftragte weltweit für das Thema. Nun kündigte die 70-Jährige an, nach einer Amtszeit aufzuhören. Es steht zu vermuten, dass ein missglückter Besuch in China eine Rolle bei dieser Entscheidung gespielt hat.
Mit 23 Jahren wird die damalige Medizinstudentin in Chile von Militärs in ein Foltergefängnis gesperrt. Die Junta unter Augusto Pinochet hat von 1973 bis 1990 etwa 40.000 Menschen illegal inhaftiert und systematisch gefoltert, verschleppt und getötet. Bachelet gelingt jedoch die Flucht in die damalige DDR. Als sie vier Jahre später in ihre Heimat zurückkehrt, engagiert sich die inzwischen ausgebildete Kinderärztin für die im Untergrund tätige sozialistische Partei sowie für Angehörige und Kinder von Diktaturopfern.
Steile Karriere
Nach Ende der Diktatur 1990 durchläuft Bachelet verschiedene Stationen bei der Regierung bis sie schließlich im Jahr 2000 erste Gesundheitsministerin Chiles wird. Als sie 2002 zur Verteidigungsministerin berufen wird, geht ein Raunen durch das chilenische Militär: Nicht nur ist sie wieder die erste Frau in einer Position, die bisher Männern vorbehalten war. Auch wird sie damit Vorgesetzte ihrer früheren Peiniger, denn viele der Täter der Diktatur sitzen noch auf ihren Posten. Und sie geht sehr offen mit ihren Erfahrungen um. Als Frau, Sozialistin, Diktaturopfer, Atheistin, Geschiedene und Alleinerziehende vereine sie „alle chilenischen Todsünden“.
Und doch trifft sie bei der chilenischen Bevölkerung einen Nerv: Entgegen jeder Skepsis gegenüber einer Frau als Regierungschefin wird Bachelet 2005 zur ersten Präsidentin Chiles gewählt. Die chilenische Verfassung verbietet eine direkte Wiederwahl des Staatsoberhauptes, so übernimmt die Feministin von 2010 bis 2013 die Leitung von UN Women, der Frauenorganisation der Vereinten Nationen in New York. „Ihre Furchtlosigkeit beim Verfechten von Frauenrechten hat diesem entscheidenden Thema zu Aufmerksamkeit verholfen“, urteilt der damalige Generalsekretär Ban Ki Moon bei ihrem Abschied. Den nimmt sie, um nach der Unterbrechung ein weiteres Mal Präsidentin in ihrem Heimatland zu werden.
Furchtlosigkeit vermisst
Nach Ende ihrer zweiten Präsidentschaft ernennt UN-Generalsekretär António Guterres Bachelet zur Hochkommissarin für Menschenrechte in Genf. Als „strategische Optimistin“ sehe sie Politik als den Versuch und Ausdruck von Hoffnung, etwas Positives zu erschaffen – „es geht darum, das Bestmögliche zu tun, weil es uns wichtig ist und weil wir es müssen“.
Doch die von Ban Ki Moon beschriebene Furchtlosigkeit Bachelets vermissen einige bei ihrem Amtsverständnis als Menschenrechtskommissarin. Zwar habe die angesehene frühere chilenische Präsidentin mit vielen Staats- und Regierungschefs auf Augenhöhe sprechen können, bilanzieren Diplomaten. Jedoch habe sie es zu oft vermieden, öffentlich die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in bestimmten Staaten anzuprangern.
Keine klaren Worte
Sehr deutliche Kritik wurde nach ihrem Besuch in China im Mai laut. Sie habe sich für Chinas Zwecke einspannen lassen und scheue vor klaren Worten beispielsweise in Bezug auf die Verbrechen an der muslimische Minderheit der Uiguren zurück, werfen ihr Regierungen und Menschenrechtsorganisationen vor.
Einige bisherige Hochkommissare wie Bachelets Vorgänger Seid Ra’ad al Hussein verurteilten Missstände sehr offensiv, auch in den mächtigsten UN-Ländern wie den USA und China. Allerdings kostete ihn dies auch eine Wiederwahl: Die USA stellten sich gegen eine zweite Amtszeit des Jordaniers. Bachelet teilt nun – trotz oder wegen ihrer Zurückhaltung – das Schicksal der meisten ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger: Auch sie muss nach einer Amtszeit gehen. (epd/mig) Aktuell Panorama
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