Vereinte Nationen
Flüchtlingskrise von nie dagewesenem Ausmaß
Mehr als 100 Millionen Menschen sind laut Vereinten Nationen auf der Flucht vor Gewalt, Unterdrückung und bewaffneten Konflikt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat in kürzer Zeit die Not drastisch verschärft.
Donnerstag, 16.06.2022, 20:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 16.06.2022, 19:23 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Die UN schlagen Alarm: Die Welt müsse eine Flüchtlingskrise von nie dagewesenem Ausmaß bewältigen, warnte das Flüchtlingshilfswerk UNHCR am Donnerstag in Genf. Erstmals seien mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht vor Menschenrechtsverletzungen, Gewalt und Konflikten. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine und andere bewaffnete Konflikte hätten erheblich dazu beigetragen, erklärte das UNHCR in dem Bericht „Global Trends“, der anlässlich des Weltflüchtlingstages am 20. Juni erscheint.
In den vergangenen zehn Jahren sei die Zahl der Vertriebenen immer weiter gestiegen, beklagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi. „Entweder kommt die internationale Gemeinschaft zusammen, um etwas gegen diese menschliche Tragödie zu unternehmen, Konflikte zu lösen und dauerhafte Lösungen zu finden, oder dieser schreckliche Trend wird sich fortsetzen.“
Grandi: Alle Krisen brauchen Ukraine-Mobilisierung
Neuen Daten des UNHCR zufolge ist die Zahl der weltweit vertriebenen Menschen bis Ende 2021 auf knapp 90 Millionen gestiegen. Wellen der Gewalt oder langwierige Konflikte in Ländern wie Äthiopien, Burkina Faso, Myanmar, Nigeria, Afghanistan und der Demokratischen Republik Kongo hätten dazu beigetragen. Ebenso habe der Krieg in der Ukraine in diesem Jahr mehrere Millionen Menschen innerhalb des Landes in die Flucht gezwungen. Zudem hätten mehr als sechs Millionen Flüchtlinge die Ukraine verlassen.
Zu den weltweit Vertriebenen zählen Flüchtlinge und Asylsuchende sowie 53 Millionen Menschen, die durch Konflikte innerhalb ihrer Heimatländer geflohen sind. „Die internationale Reaktion auf die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine fliehen, war überwältigend positiv“, sagte Grandi. „Das Mitgefühl ist lebendig und wir brauchen eine ähnliche Mobilisierung für alle Krisen auf der Welt.“
Schulze: Schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg droht
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) wies angesichts der erschreckenden Zahlen darauf hin, dass viele Flüchtlinge und Binnenvertriebene nun zusätzlich vom Hunger bedroht seien. „Die durch den russischen Angriffskrieg verursachten steigenden Nahrungsmittelpreise sind eine Katastrophe für Entwicklungsländer, die von Armut, Trockenheit und Hunger betroffen sind und zudem als Aufnahmeländer für Millionen geflüchteter Menschen zu sorgen haben“, erklärte Schulze am Donnerstag in Berlin. „Es droht die schwerste Hungersnot seit dem Zweiten Weltkrieg.“
Auch Gewalt und Repressionen gegen Geflüchtete nähmen weiter zu, erklärte „Brot für die Welt“. „Ob im Mittelmeer oder der Sahara, ob auf dem Balkan oder entlang der Fluchtrouten in Mittelamerika – überall werden die Rechte von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Heimat verlassen haben, mit Füßen getreten“, sagt Dagmar Pruin, Präsidentin des evangelischen Hilfswerks. „Viele bezahlen die unmenschliche Abschottungspolitik, wie sie etwa die EU und die USA betreiben, mit dem Tod.“
„Globales Systemversagen“
David Miliband, Präsident der Hilfsorganisation IRC, sprach mit Blick auf die Flüchtlingszahlen von einem „globalen Systemversagen“. Ohne konkretes Handeln der Entscheidungsträger werde die historische Zahl von 100 Millionen auf der Flucht nur der Vorläufer für immer höhere Zahlen sein. Reimund Reubelt, Erster Vorstand der Menschenrechts- und Hilfsorganisation Hoffnungszeichen, mahnte: „Die direkten und die indirekten Folgen des Klimawandels werden mit Sicherheit noch in diesem Jahrhundert mehr und mehr Menschen aus ihrer Heimat vertreiben.“
Der jüngste UNHCR-Bericht beinhaltet laut dem Verfasserteam auch Hoffnungsschimmer. Die Zahl der zurückgekehrten Flüchtlinge und Binnenvertriebenen habe im Jahr 2021 wieder das Niveau von vor der Corona-Pandemie erreicht. Dabei sei die Zahl der freiwilligen Rückkehrer um 71 Prozent gestiegen. (epd/mig) Leitartikel Panorama
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