Jahresbericht
Meldestellen registrierten mehr antisemitische Vorfälle
Die Corona-Pandemie hat im vergangenen Jahr offenbar auch dem Antisemitismus im Land Vorschub geleistet. Insgesamt sind für 2021 mehr Vorfälle festgestellt worden. Das entspricht einem Anstieg um 40 Prozent.
Dienstag, 28.06.2022, 20:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 29.06.2022, 7:46 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen (RIAS) hat im vergangenen Jahr einen weiteren Anstieg antisemitischer Vorfälle registriert. In seinem am Dienstag in Berlin vorgestellten Jahresbericht für 2021 listet der Verband 2.738 erfasste antisemitische Vorfälle auf, im Schnitt also mehr als sieben Vorfälle pro Tag. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg um 40 Prozent (1.957 Vorfälle). Im Jahr davor wurden rund 1.200 Vorfälle registriert.
Die Datengrundlage des aktuellen Berichts unterscheidet sich laut RIAS jedoch erheblich vom Bericht 2020. So nahmen 2021 unter anderem drei neue Meldestellen ihre Arbeit auf, in Thüringen, Niedersachsen und Köln. Auf der anderen Seite konnten die gemeldeten Vorfälle etwa in Berlin und Brandenburg gar nicht oder nur teilweise mit Polizeistatistiken abgeglichen werden. So enthält die Statistik nicht bislang nur der Polizei bekannte Delikte. Insgesamt flossen aus acht RIAS-Meldestellen Zahlen in den Bericht, 2020 waren vier Meldestellen beteiligt.
„Enthemmung in Teilen der Bevölkerung“
Vor allem die Corona-Pandemie sowie die Eskalation des arabisch-israelischen Konflikts im Mai 2021 hätten im vergangenen Jahr die antisemitischen Vorfälle geprägt, sagte Benjamin Steinitz, geschäftsführender Vorstand des RIAS-Bundesverbands. Erfasst wurden unter anderem sechs Fälle extremer Gewalt (2020: ein Fall), darunter zwei mit Todesfolge, und 63 Angriffe (2020: 39 Fälle).
Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sprach von einer Enthemmung in Teilen der Bevölkerung, die durch die Zahlen sichtbar werde: „Antisemitische Haltungen werden immer häufiger ohne Scheu offen artikuliert, sowohl im Netz als auch auf der Straße.“ Das sei etwa bei den Demonstrationen der Corona-Leugner und Impfgegner deutlich geworden: „Diese Enthemmung ist ein gefährlicher Nährboden, denn aus Worten werden Taten“, sagte Schuster.
Beauftragter fordert Demokratiefördergesetz
Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, zeigte sich mit Blick auf den „islamistischen Judenhass“ beunruhigt. Dem Bericht zufolge wurden im vergangenen Jahr 1 Prozent aller erfassten Vorfälle dem Bereich „islamisch/islamistisch“ zugeordnet; im Jahr davor waren es 2 Prozent.
Zur Bekämpfung des Antisemitismus sei ein möglichst umfassendes Lagebild erforderlich, erklärte Klein. Deshalb begrüße er es, dass RIAS die Zahl der Meldestellen weiter ausgebaut habe. „Judenhass bedroht unsere Demokratie als Ganze, auch deshalb müssen wir dagegen fest zusammenstehen und Wehrhaftigkeit beweisen“, sagte Klein. In Richtung Bundestag nannte Klein den neuen Bericht einen Handlungsauftrag, das dringend notwendige Demokratiefördergesetz rasch zu verabschieden.
„Gesellschaftliche Normalität des Antisemitismus
Marina Chernivsky, Geschäftsführerin der Beratungsstelle OFEK, betonte, die Zunahme an Vorfällen zeige „die Virulenz und gesellschaftliche Normalität des Antisemitismus“. Der Bericht unterstreiche „die Präsenz des Post-Schoah-Antisemitismus wie auch des israelbezogenen Antisemitismus in allen Teilen der deutschen Gesellschaft“.
Der RIAS-Vorsitzende Steinitz sagte, der Antisemitismus sei für Jüdinnen und Juden in Deutschland weiterhin ein alltagsprägendes Phänomen. 2021 seien 964 Einzelpersonen unmittelbar davon betroffen gewesen. 128 Vorfälle wurden im Wohnumfeld der Betroffenen bekannt. Das führe häufig zu einer dauerhaften Verschlechterung der Lebensqualität. (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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