Sozialkaufhäuser
An manchen Tagen ist jeder zweite Kunde ein Ukrainer
Steigende Preise stürzen immer mehr Menschen in Armut. Immer mehr decken ihren Lebensbedarf in Sozialkaufhäusern. Alleinerziehende, Ältere und Menschen ohne deutschen Pass gehören zur Kundschaft. Seit dem russischen Angriff kommen auch viele Ukrainer.
Von Dieter Sell Dienstag, 05.07.2022, 17:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 05.07.2022, 12:44 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Angesichts massiv steigender Lebenshaltungskosten und einer wieder zunehmenden Zahl Geflüchteter registrieren viele Sozialkaufhäuser in Deutschland wie der kirchliche „Marktplatz der Begegnung“ in Bremen eine stark wachsende Nachfrage durch mehr Kundschaft. „Wir arbeiten an vielen Stellen am Limit“, sagte „Marktplatz“-Leiter und Sozialdiakon Christoph Buße (58) dem „Evangelischen Pressedienst“. Dabei spiele auch eine Rolle, dass gerade viele Corona-Einschränkungen weggefallen seien. „Ich sehe, dass wir mehr gebraucht werden“, betonte Buße.
Der „Marktplatz der Begegnung“ hat eine Verkaufsfläche von rund 300 Quadratmetern und zählt wohl zu den bundesweit ungewöhnlichsten Sozialkaufhäusern in Deutschland – schon allein wegen des Ortes: Hier sind Kleiderstangen und Waren-Container in einer evangelischen Kirche aufgebaut. In der Auslage findet sich alles, was zum täglichen Bedarf gehört.
Drittel bis Hälfte der Kundschaft Ukrainer
Wie aus dem jüngst veröffentlichten Armutsbericht der Paritätischen geht hervor, dass Menschen ohne deutschen Pass mit zu den am meisten Armutsbetroffen zählen. Daneben gibt es weitere Risikogruppen. „Zu unserer Kundschaft gehören beispielsweise Alleinerziehende, aber auch viele Ältere, die oft von Armut betroffen sind“, erläuterte Buße. Spenden kämen genug. „Wir bekommen wöchentlich allein 300 Säcke mit hochwertiger Kleidung, dazu Kisten mit Hausrat und Möbel – das muss alles gesichtet und sortiert werden.“
In jüngster Zeit kämen viele Geflüchtete aus der Ukraine dazu, „manchmal ist es ein Drittel, manchmal ist es die Hälfte unserer Kundschaft“, bilanzierte Buße. Das sei mit großen Herausforderungen verbunden, weil viel erklärt werden müsse. „Dazu brauchen wir Dolmetscher“, führte der „Marktplatz“-Chef aus, der sich über die große Bereitschaft Ehrenamtlicher zum Übersetzen freut.
Es geht auch um Nachhaltigkeit
Zum Team des Sozialkaufhauses im Bremer Stadtteil Neue Vahr gehören derzeit 30 Personen. Eine Handvoll engagiert sich besonders, um die Türen an drei Tagen in der Woche zu öffnen. „Wenn ich noch mehr Freiwillige hätte, könnte ich die Öffnungszeiten auf sechs Tage ausweiten“, wirbt Buße für ein Engagement im Projekt und ergänzt: „Dringend nötig wäre es, denn die steigenden Energie- und Lebensmittelpreise werden zukünftig noch mehr Menschen Probleme bereiten.“ Doch momentan fehle das Personal, um den Andrang auf weitere Tage verteilen zu können.
Ergänzt wird das Sozialkaufhaus durch Arbeitsbereiche wie ein Repair-Café, eine Fahrrad-Werkstatt und eine Hausaufgabenhilfe. Wichtig seien hier nicht nur gute und preiswerte Kleidung und Dinge des täglichen Bedarfs, bekräftigte Buße. Im „Marktplatz“ gehe es auch um Begegnung und nachhaltiges Wirtschaften. So wünscht sich Buße, dass der Handel mit Second-Hand-Artikeln und damit das Teilen Schule macht. Seine Rechnung: „Ein Kilo Kleider aus dem Sozialkaufhaus sparen 3,6 Kilo CO2, 6.000 Liter Wasser und ein halbes Kilo Pestizide und Düngemittel.“ (epd/mig) Aktuell Gesellschaft
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