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Nicht Freund, nicht Feind

Wie sich der afrikanische Kontinent zum Ukraine-Krieg verhält

Afrikanische Länder wollen gegen Russland keine Partei beziehen. Die Interessen und Prioritäten auf dem Kontinent sind anders gelagert. Das kommt im Westen nicht gut an. Umgekehrt überzeugt auch das Verhalten westlicher Länder nicht. Eine Rolle spielt dabei die Doppelmoral.

Donnerstag, 14.07.2022, 19:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 14.07.2022, 16:32 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Auch wenn Russlands Krieg in der Ukraine sich Tausende Kilometer entfernt von den meisten afrikanischen Ländern abspielt, treffen die Auswirkungen viele Menschen dort hart. Der weltweite Preisanstieg für Energie und Nahrungsmittel verschärft in vielen Ländern Krisen, die schon länger schwelen – etwa die Dürre am Horn von Afrika, wegen der bereits vor dem russischen Angriff Hunderttausende Menschen hungerten. So haben die meisten afrikanischen Länder großes Interesses an einem raschen Ende des Krieges – doch Partei beziehen gegen Russland wollen sie nicht.

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Die Prioritäten auf dem Kontinent sind andere: Der Aufbau der Wirtschaft, eigene Krisen, Kriege und die Folgen der Klimakrise müssen bearbeitet werden. Und jetzt, da viele Hilfsgelder der Ukraine zugutekommen, wird das nicht einfacher.

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Umgang mit afrikanischen Geflüchteten

Seit Beginn des Krieges weigern sich viele Länder Afrikas, Russland eindeutig zu verurteilen. Als die UN-Vollversammlung in einer Dringlichkeitssitzung im März Russlands Angriff auf die Ukraine verurteilte, stimmte zwar knapp die Hälfte der afrikanischen Länder dafür. Doch die Hälfte der Enthaltungen entfiel auf afrikanische Länder, dazu die Mehrheit der Abwesenden und eine der fünf Gegenstimmen. Auch bei der Abstimmung über den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat enthielten sich viele afrikanische Länder oder stimmten dagegen.

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Derweil äußerte sich die Afrikanische Union (AU) vor allem zum Umgang mit Afrikanerinnen und Afrikanern, die aus der Ukraine flohen und an den Grenzen rassistisch diskriminiert wurden. Abgesehen davon setzt der Zusammenschluss der afrikanischen Länder auf diplomatische Bemühungen für ein schnelles Ende des Krieges, unter dessen Folgen viele Menschen leiden. Ziel ist dabei auch die Wiederaufnahme der Getreide- und Düngemittelexporte aus Russland und der Ukraine, von denen viele Länder abhängig sind. Dafür reiste etwa Macky Sall, Präsident des Senegals und aktuell auch AU-Präsident, Anfang Juni nach Sotschi zu einem Gespräch mit dem russischen Staatschef Waldimir Putin, unterhielt sich dann per Video-Anruf mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und nahm Ende des Monats am G7-Gipfel auf Schloss Elmau teil.

Eine lange (Kolonial)-Geschichte

An solchen Reiseplänen zeigt sich das vorsichtige Austarieren der Interessen des Kontinents. Denn die liegen keineswegs nur in einer Allianz mit den sogenannten westlichen Mächten. Mit vielen europäischen Ländern verbindet Afrika eine lange Geschichte, geprägt von der kolonialen Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen. Anders die Sowjetunion, mit der Russland verbunden wird: Die half Unabhängigkeitsbewegungen auf dem Kontinent im Kampf gegen die Kolonialmächte, unterstützte sozialistische Bestrebungen mit Waffen und Studienplätzen an sowjetischen Universitäten.

Obwohl Länder wie Deutschland, Frankreich und England in den vergangenen Jahrzehnten mit Entwicklungshilfe versucht haben, Demokratiebewegungen und Wirtschaftsaufbau zu unterstützen, werden sie nicht als gleichgesinnte Verbündete wahrgenommen. Dabei wird gerade Frankreich und sein bis heute anhaltender Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent immer negativer gesehen. Länder wie Mali und die Zentralafrikanische Republik kehren der einstigen Kolonialmacht demonstrativ den Rücken und wenden sich Russland zu, das mit Waffen, Söldnern und dem Versprechen einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe lockt. Doch am Ende hat Russland, wie andere Länder auch, in erster Linie ein Interesse am Abbau von Rohstoffen wie Gold oder seltenen Erden.

Doppelmoral des Westens

Dazu kommt, dass viele afrikanische Länder von chinesischen Investments abhängig sind. Kein anderes Land finanziert aktuell so viele Infrastrukturprojekte. Das Modell: China betreibt diese Straßen oder Häfen, solange bis das Investment wieder erwirtschaftet ist. China und Russland sind enge Partner – mit keinem der beiden wollen die afrikanischen Länder sich es verscherzen.

Auch die Doppelmoral des Westens, sich zum einen selbst nicht an nationale Grenzen zu halten, wie bei den Interventionen im Irak, aber auch in Libyen, jetzt aber Russland genau dafür zu kritisieren, ist für viele afrikanische Regierungen wenig überzeugend. Eines ist klar: Der Westen wird nicht automatisch als verlässlicher Partner in Afrika angesehen. Dafür müsste das eigene Verhalten gegenüber Menschenrechtsverletzungen und Kriegen auch in Afrika konsequenter werden. Und die diplomatischen Ansätze und Vorschläge von Vertretern der Afrikanischen Union müssen gehört, eingebunden und ernst genommen werden, damit am Ende tatsächlich der gemeinsame Kampf für eine friedlichere Welt steht. (epd/mig) Ausland Leitartikel

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