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Europäischer Gerichtshof

Deutschland hat jahrelang rechtswidrig Familiennachzug verhindert

Der Europäische Gerichtshof hat der Praxis deutscher Behörden, einem volljährig gewordenen Kind die Zusammenführung mit den Eltern zu verwehren, eine klare Absage erteilt. EU-Richter stellten jetzt fest: Entscheidend sei nicht der Zeitpunkt der Behördenentscheidung, sondern der Antragsstellung.

Montag, 01.08.2022, 19:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 01.08.2022, 17:29 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Familienzusammenführung von minderjährigen Flüchtlingskindern mit ihren Eltern darf nicht an zu langsam arbeitenden deutschen Behörden scheitern. Wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Montag entschied, dürfen hiesige Behörden die Familienzusammenführung im Fall von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen nicht davon abhängig machen, dass das Kind erst bei der Entscheidung über eine Visaerteilung noch minderjährig ist. (C-273/20 und C-355/20) Maßgeblich sei der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland, urteilten die Luxemburger Richter.

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In den Streitfällen ging es um den Familiennachzug von noch in Syrien lebenden Eltern zu ihren in Deutschland als Flüchtlinge anerkannten Kindern. Als sie noch als Minderjährige eine Familienzusammenführung und damit Einreise-Visa für ihre Eltern beantragten, wurde das von den deutschen Behörden abgelehnt. Denn mit der Entscheidung über den Familiennachzug seien die Kinder bereits volljährig geworden. Ein Recht auf Familienzusammenführung bestehe dann jedoch nicht.

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Bundesverwaltungsgericht verwies auf deutsches Gesetz

In einem weiteren Verfahren wollte eine Syrerin zu ihrem nach Deutschland geflohenen Vater ziehen. (AZ: C-279/20) Als der Vater seinen Asylantrag gestellt hatte, war sie noch 17 Jahre alt.

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Das Bundesverwaltungsgericht legte alle Verfahren dem EuGH zur Prüfung vor. Die Leipziger Richter verwiesen auf das deutsche Aufenthaltsgesetz, wonach es beim Familiennachzug auf die Minderjährigkeit zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Visumantrag ankomme.

EuGH erteilt deutscher Rechtspraxis Absage

Doch dem erteilte der EuGH ebenso wie bereits in früheren Urteilen vom 12. April 2018 (AZ: C-550/16) und vom 16. Juli 2020 (AZ: C-133/19, C-136/19 und C-137/19) gegen die Niederlande bzw. Belgien erneut eine klare Absage. Das Vorgehen der deutschen Behörden zur Familienzusammenführung sei europarechtswidrig. Weder stehe diese Praxis „mit den Zielen der Richtlinie betreffend das Recht auf Familienzusammenführung noch mit den Anforderungen im Einklang“, „die sich aus der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergeben“.

Maßgeblich für das Recht auf Familienzusammenführung sei, dass das Kind zum Zeitpunkt der Asylantragstellung minderjährig war und nicht der Zeitpunkt der Behördenentscheidung über die Visaerteilung. Denn ansonsten könnten Behörden einfach Verfahren bis zur Volljährigkeit in die Länge ziehen und dann den Antrag ablehnen, rügte der EuGH. Die Bundesregierung hatte die Umsetzung der Urteile gegen Belgien und die Niederlande mit der Begründung verweigert, sie beträfen nicht Deutschland. Damit dürfte jetzt Schluss sein.

Pro Asyl: Zerrissene Familien können aufatmen

Allerdings betonte der EuGH, dass für das Recht auf Familienzusammenführung eine bloße Verwandtschaft oder ein rechtliches Eltern-Kind-Verhältnis nicht ausreicht. Es sei aber nicht erforderlich, dass der Flüchtling mit den Familienangehörigen im selben Haushalt gelebt hat. Gelegentliche Besuche und regelmäßige Kontakte reichten für die Annahme des Bestehens tatsächlicher familiärer Bindungen aus.

„Viele durch die Flucht zerrissene Familien können nach den Urteilen aufatmen: Ihr Anspruch auf Familiennachzug besteht weiter, auch wenn ein Kind volljährig wird. Es ist aber ein Skandal, dass Deutschland diese Familien vier weitere Jahre hingehalten hat, obwohl die Rechtslage bereits nach dem Urteil des EuGHs von 2018 eindeutig war“, sagte Wiebke Judith von der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl. (epd/mig) Leitartikel Recht

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