Chance für Frieden?
In Kolumbien übernimmt erste linke Regierung ihre Ämter
Die Erwartungen sind enorm, von historischem Wandel und tiefgreifenden Veränderungen ist die Rede. Am Sonntag beginnt die Bewährungsprobe für die erste linke Regierung in der Geschichte Kolumbiens.
Von Susann Kreutzmann Mittwoch, 03.08.2022, 20:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 03.08.2022, 16:42 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
„Eine wirkliche Veränderung“ hat Gustavo Petro für seine Zeit als Präsident Kolumbiens versprochen. Am Sonntag übernimmt der 62-jährige Ex-Guerillero sein Amt als erster linker Staatschef in der Geschichte des südamerikanischen Landes. Den politischen Aufbruch spiegelt auch die Zusammensetzung des neuen Kabinetts wider. Neben der Vizepräsidentin, der afrokolumbianischen Umweltaktivistin Francia Márquez, die entscheidend zum Wahlsieg beigetragen hat, umgibt sich Petro mit Fachleuten und Wegbegleiterinnen und Wegbegleitern. Dass auch konservative Köpfe darunter sind, hat ihm bereits Kritik von links beschert.
Drei große Reformversprechen will Petro einlösen: Das staatliche Renten- und Gesundheitssystem soll gestärkt, eine immer wieder gescheiterte Landreform umgesetzt und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringert werden. Außerdem will Petro den Friedensprozess wiederbeleben, den sein Vorgänger, der Konservative Iván Duque, konsequent ausgebremst hat.
Normalisierung der Beziehungen zu Venezuela
Als ersten außenpolitischen Schritt hat Petro die Normalisierung der Beziehungen zum Nachbarn Venezuela angekündigt. Beide Länder wollen nach fünf Jahren Funkstille wieder Botschafter austauschen und die Grenzübergänge dauerhaft öffnen. Venezuelas sozialistischer Staatschef Nicolás Maduro hatte sie nach Spannungen mit der Duque-Regierung immer wieder schließen lassen. Rund sechs Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner haben ihre Heimat wegen der politischen und ökonomischen Krise verlassen. Zwei Millionen von ihnen leben in Kolumbien.
Außenminister wird der 79-jährige Anwalt, Diplomat und Menschenrechtsaktivist Álvaro Leyva. Der Konservative diente kurz als Energieminister, machte sich aber in den vergangenen Jahrzehnten vor allem als Vermittler zwischen der Regierung und Guerilla-Gruppen einen Namen. Auch an den Friedensverhandlungen mit den Farc-Rebellen war er beteiligt, die 2016 zur Waffenabgabe durch die Kämpfer und die Umwandlung der Gruppe in eine Partei führten. Als designierter Außenminister hat Leyva bereits Deutschland besucht.
Wichtige Aufgabe: Friedensprozess
Verteidigungsminister Iván Velásquez kommt eine wichtige Aufgabe bei der Umsetzung des stockenden Friedensprozesses zu. Der 67-jährige Jurist ist vor allem durch seinen Kampf gegen Korruption bekannt. Während seiner Zeit bei der Staatsanwaltschaft der Metropole Medellín ging er rigoros gegen rechtsgerichtete paramilitärische Gruppen vor und erhielt mehrere Morddrohungen. Velásquez muss jetzt auch eine Reform der Sicherheitskräfte vorantreiben. Petro will die National-Polizei, die aktuell dem Verteidigungsministerium untersteht, in ein ziviles Organ unter dem Innen- und Justizministerium umwandeln.
Der künftige Präsident will außerdem die Abhängigkeit vom Erdöl reduzieren, Kolumbiens größter Einnahmequelle. Mit dem Versprechen, dafür die erneuerbaren Energien auszubauen, konnte das Team Petro/Márquez vor allem jüngere urbane Wählerinnen und Wähler für sich gewinnen. Auch die künftige Umweltministerin, die Aktivistin Susana Muhamad, setzt sich dafür ein. Allerdings hatten südamerikanische Linkspolitiker wie Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien und Hugo Chávez in Venezuela mit den Öl-Einnahmen ihre Sozialprogramme finanziert.
Große Erwartungen an neue Regierung
Entscheidend für die Zukunft Kolumbiens ist eine Umverteilung von Land, an dessen Konzentration sich in den 60er Jahren der Bürgerkrieg entzündete, der bis heute andauert. Mehr als die Hälfte des Bodens gehört 1,5 Prozent der Bevölkerung. Petro will mit einer großen Agrarreform „eine historische Schuld gegenüber den Bauern begleichen“. Der Ärztin Carolina Corcho wiederum, die Petro aus seiner Zeit als Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá (2012-15) kennt, soll das staatliche Gesundheitssystem vor allem auf dem Land stärken.
Die Erwartungen an das neue Regierungsteam sind enorm. Der Wirtschaft machen die Folgen der Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie zu schaffen, die zugleich die historisch sehr ausgeprägte soziale Ungleichheit verstärkt haben. Millionen Menschen sind wieder in die Armut gerutscht. Zugleich nimmt auch die Gewalt gegen Vertreter von Minderheiten und Aktivistinnen und Aktivisten zu – allein in diesem Jahr sind bislang mehr als 100 von ihnen getötet worden. Die Umkehr dieser Trends wird eine Herkulesaufgabe. (epd/mig) Aktuell Ausland
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