Rutos afrikanischer Traum
Aufstieg an die Spitze Kenias
William Ruto hat ein denkbar knappes Rennen um das Präsidentenamt Kenias gewonnen. Nun kündigt der 55-Jährige, der gerne seine bescheidene Herkunft betont, Hilfe für die Ärmsten an. Um das Land aus der Krise zu führen, wird es jedoch mehr brauchen.
Von Bettina Rühl Dienstag, 16.08.2022, 16:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.08.2022, 13:05 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
William Ruto, der künftige Präsident Kenias, erzählt manche Geschichten aus seiner Vergangenheit deutlich lieber als andere. Gerne beschreibt der 55-Jährige die bescheidenen Verhältnisse seiner Kindheit im bergigen Rift Valley im Zentrum Kenias: Wie er zu Fuß weite Wege in die Schule gehen musste, dass er erst mit 15 sein erstes Paar Schuhe bekommen habe, und wie er Hühner und Erdnüsse am Straßenrand verkauft habe, um zu überleben. Er schaffte es, sein Studium zu finanzieren, machte einen Abschluss in Botanik und Zoologie.
Dass Ruto es schließlich an die Spitze des ostafrikanischen Staates schaffte, ist eine beeindruckende Karriere. „Selbst Kritiker räumen ein, dass er charismatisch, fleißig und voller neuer Ideen ist“, schreibt Declan Walsh, leitender Afrika-Korrespondent der „New York Times“ über den derzeitigen Vizepräsidenten. Mut und Selbstbewusstsein gehören zu einem solchen Aufstieg wohl auch.
Rutos klug gebildetes Wahl-Narrativ war, dass eine solche Traumkarriere künftig in Kenia deutlich normaler sein soll. Es brachte ihm, wenn auch denkbar knapp, den Sieg ein. Den zwei Dritteln der Gesellschaft, die in prekären Verhältnissen leben und nun auch noch mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und den steigenden Lebensmittel- und Treibstoffpreisen kämpfen, versprach er eine wirtschaftliche Umkehr. Sein Wahlmanifest widmete er denjenigen, die „am unteren Ende der Pyramide“ stehen und kündigte Mindestpreise für landwirtschaftliche Produkte, Subventionen für Düngemittel sowie Unterstützung für die Gründung von Kleinstunternehmen an.
Angeklagter Vizepräsident
Ruto hat sich bei den Wahlen am Dienstag zum ersten Mal um das höchste Staatsamt beworben. Sein künftiger Vizepräsident ist der Geschäftsmann Rigathi Gachagua, der wegen Geldwäsche und Veruntreuung angeklagt ist.
Das leitet zu den Themen, über die Ruto nicht so gerne spricht: Wie sein künftiger Vize besitzt Ruto längst ein ansehnliches Vermögen. Erworben hat er es während seiner politischen Laufbahn: Seit 1997 hatte er verschiedene politische Posten inne und war mehrfach Minister. Und besitzt laut „New York Times“ unter anderem einen zehn Quadratkilometer großen landwirtschaftlichen Betrieb, ein Luxushotel und eine Hühnermast.
Trotz Verfahren vereidigt
Am wenigsten gern wird Ruto an seine mutmaßliche Rolle bei den politischen Unruhen in Kenia nach den Wahlen von 2007 erinnert. Der Internationale Strafgerichtshof warf ihm indirekte Mittäterschaft an Morden und Vertreibungen vor und klagte ihn 2012 an. Laut der Anklageschrift wurden nach den Wahlen mehr als 1.100 Menschen getötet und über eine halbe Million Menschen gewaltsam vertrieben.
Trotz des Verfahrens wurde Ruto 2013 zum Vizepräsidenten vereidigt, an der Seite des ebenfalls angeklagten Uhuru Kenyatta, der nun aus dem Präsidentenamt scheidet. Beide Verfahren wurden inzwischen eingestellt. Das gegen Kenyatta wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit endete 2014 aus Mangel an stichhaltigen Beweisen. Der Prozess gegen Ruto wurde 2016 nur vorübergehend eingestellt, wie das Gericht betonte. Zur Begründung hieß es, ein faires Verfahren sei wegen politischer Einflussnahme nicht möglich.
Ausgleich und Kompromiss
Mindestens 16 der insgesamt 42 Zeugen der Anklage zogen ihre Bereitschaft zur Aussage im Verlauf des Verfahrens nachgewiesenermaßen aufgrund von Drohungen oder Bestechung zurück. Das Gericht kündigte an, das Verfahren wieder aufnehmen zu wollen, sollte sich die Beweislage ändern.
Was der angehende Staatschef im neuen Amt auf jeden Fall brauchen wird, ist die Fähigkeit zu Ausgleich und Kompromiss. Knapper hätte die Wahl zwischen ihm und dem Oppositionellen Raila Odinga kaum ausgehen können, die Wählenden sind gespalten. Vielleicht noch wichtiger wird es sein, diejenigen wieder für die Demokratie zu begeistern, die aus Frust über die Politik nicht gewählt haben. Mit rund 65 Prozent war die Wahlbeteiligung für kenianische Verhältnisse historisch niedrig. Ob der ehrgeizige, und manche sagen skrupellose Aufsteiger dazu die Fähigkeit hat, muss sich erst zeigen. (epd/mig) Aktuell Ausland
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