Grenzräume
Über (Gangsta-)Rap und die Solidarität mit Flüchtenden
Hanybal ist bekannter Gangsta-Rapper aus Frankfurt am Main. In seiner aktuellen Single „Abolish Frontex“ solidarisiert er sich mit Menschen auf der Flucht. Doch er ist nicht der Einzige – Eine Spurensuche im deutschsprachigen (Gangsta-)Rap.
Von Lukas Geisler Sonntag, 28.08.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.08.2022, 6:24 Uhr Lesedauer: 7 Minuten |
Der deutsche Gansta-Rapper Hanybal, der bürgerlich auf den Namen Sascha-Ramy Nour hört, kommt aus Frankfurt und steht bei dem Label Azzlackz von Haftbefehl unter Vertrag. Mit den Rappern Nimo, Bonez MC und RAF Camora hat er insgesamt zwei Goldsingles. Schon 2007 fing er an zu rappen, 2009 wurde er von Azad, einem Urgestein der Frankfurter Rap-Szene, unter Vertrag genommen. Als sich das Label von Azad kurz später auflöste, verschwand auch Hanybal wieder, bis er 2013 – diesmal von Haftbefehl – unter Vertrag genommen wurde. Fortan kam kein Rap-Fan mehr an Hanybal vorbei.
Typisch für Frankfurter Gangsta-Rap ist seine Musik geprägt von Schilderungen aus dem Frankfurter Drogenmilieu, er benutzt zahlreiche Lehnwörter aus Fremdsprachen und Slang-Begriffe. Zudem bescheren ihm seine markante Aussprache und die Aggressivität im Stimmbild einen hohen Wiedererkennungswert. „Tote am Boden, du fragst dich, wo sind deine Freunde bloß jetzt hin/ Schätzchen, Frankfurter Jungs sind gewohnt an die Action“, rappt er beispielsweise auf dem gemeinsamen Track „Vollautomatik“ mit Nimo. So weit, so unspektakulär. Typischer Gangsta-Rap eben.
Die Entdeckung des Politischen?
Neben den herkömmlichen Klischees bieten Hanybals Lieder, wie unter anderem bei seinen Frankfurter Rappkollegen Haftbefehl oder Celo & Abdi, auch immer wieder Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen. Auch auf dem Benefizsong des Rappers Azzi Memo über den rechtsterroristischen Anschlag in Hanau ist er mit einem kurzen Part vertreten. Seine politische Haltung unübersehbar gemacht haben allerdings die ersten zwei Singles seines neuen Albums. Im Februar erschien der Song „Entsprechen nicht der Norm“, in dem er den Rassismus in Deutschland thematisiert: „Sie versperren uns die Wege, denn wir entsprechen nicht der Norm/ Meine Fresse afrikanisch, doch bin trotzdem hier gebor’n“. Und weiter: „Egal, was du denkst, ich bin nicht fremd“.
Dass postmigrantische Rapper Rassismus, soziale Ungleichheit und Prekarisierung thematisieren, ist erstmal nichts Ungewöhnliches. Damit steht Hanybal in der Tradition des amerikanischen Hip-Hops, die auch in den Anfängen des Deutschraps eine gewichtige Rolle gespielt hat. Schon Advanced Chemistry thematisierten 1992 mit „Fremd im eigenen Land“ Rechtsextremismus und Alltagsrassismus. Mit Zeilen, wie „Fahr‘ ich zur Grenze mit dem Zug oder einem Bus/ Frag‘ ich mich, warum ich der Einzige bin, der sich ausweisen muss, Identität beweisen muss“, setzte die Rap-Gruppe früh Standards.
Neue Allianzen?
Mit „Abolish Frontex“ (deutsch: „Frontex abschaffen“), seiner zweiten Single, nahm sich Hanybal einem Themenkomplex an, das im Gangsta-Rap bisher nicht so viel Aufmerksamkeit erfahren hat: Seenotrettung, das militarisierte europäische Grenzregime und Solidarität mit Flüchtenden. So rappt er: „Ihr seid komplett verlogen, früher raubtet ihr Menschen/ Heute beraubt ihr den Boden, ihr zogt darauf Grenzen”. Und: „Der moralische Westen wollte den kurdischen Jungen Alan nicht retten“. Dabei weist er explizit auf koloniale Grenzziehungen hin, indem er sagt: „Ihr habt doch alle vergessen/ für den Aufstieg Europas musste Afrika brechen“.
Im Video zur Single sitzt Hanybal vor Garagentoren auf einem Campingstuhl. Er trägt eine „Refugees Welcome“-Maske und einen Kapuzenpulli. Fast schon dadaistisch wirkt die Szenerie. Dagegen sind die Schnittbilder aus den Grenzregionen, dem Mittelmeer und von Demonstrationen umso wirkmächtiger.
Rap und Solidarität mit Flüchtenden
Die Thematik ist dabei bei linkem politischem Rap gar nichts Neues. Zum Beispiel veröffentlichte der ehemalige Frontmann der Band Irie Révoltés, Mal Élevé, 2018 das Lied „Mittelmeer“. „Europa setzt auf Abschottung mit Frontex und mit Stacheldraht/ Militär und Satelliten, das Mittelmeer ein Massengrab“ und „Grenzen werden dicht gemacht und Menschenrechte abgeschafft/ Unzählige Leichen, die die Festung hinterlassen hat“ rappt er auf dem Song.
Auch der Hamburger Disarstar, der sich selbst auch mal als Kommunist bezeichnet und die traditionelle Klassenfrage in den Fokus rückt, solidarisiert sich immer wieder mit Flüchtenden. „Europa nimmt das Sterben vor ihren Fenstern hin und redet dann noch etwas von Werten, diese Henkerin“ rappt er in einer Veröffentlichung. Doch besteht ein Unterschied zwischen explizitem Polit-Rap und postmigrantischen Gangsta-Rap, auch wenn auf den ersten Blick die gleichen Themen behandelt werden.
Der Politische Charakter von Rap
Erst einmal zum politischen Charakter der Kunstform. Der französische Philosoph Jacques Rancière entwickelte eine ästhetische Theorie der Politik, die diametral zur sozialen, gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung steht. Politik könne nur als Unterbrechung dieser Ordnung definiert werden. Damit kritisiert er die herkömmliche Auffassung von Politik; sprich Parlamentarismus, Parteien oder Regierung. Dagegen ist Politik eigentlich jene Tätigkeit, „die einen Körper von seinem natürlichen oder ihm als natürlich zugeteilten Ort entfernt, das sichtbar macht, was nicht hätte gesehen werden sollen, und das als Rede verständlich macht, was nur als Lärm gelten dürfte“.
„Rap macht sichtbar, was nicht hätte gesehen werden sollen. Und er macht die Stimmen von Menschen deutlich, die nicht gehört werden sollten.“
Gerade Rap gilt oder galt für viele als Lärm. Der Soziologe Martin Seeliger klassifiziert Gangsta-Rap unter anderem als ein Kampf um Anerkennung in der postmigrantischen Gesellschaft. Sprich: Rap macht sichtbar, was nicht hätte gesehen werden sollen. Und er macht die Stimmen von Menschen deutlich, die nicht gehört werden sollten. Rap – gerade postmigrantischer Gangsta-Rap – ist also genuin als etwas Politisches zu verstehen.
Gangsta-Rap als Kunstform der Subalternen
Der qualitative Unterschied zwischen Mal Élevé und Hanybal, die sich beide mit Flüchtenden solidarisieren, besteht darin, dass Hanybal das aus einer subalternen Position heraus tut. Subalternität bedeutet wörtlich „von minderem Rang“. Die indische Theoretikerin Gayatri Spivak nahm diesen Begriff auf und definierten die globalen Subalternen als diffus und uneins. Gerade die Repräsentation von Flüchtenden, wie zum Beispiel durch Lieder Mal Élevé, ist kein eigentliches „Für-Sich-Selbst-Sprechen“, sondern verbleibt auf der repräsentativen Ebene – ist reine Stellvertreterpolitik.
Dagegen kann postmigrantischer Gangsta-Rap einen Moment des Bruches darstellen – ebenso wie ihn Rancière als politischen Momentum gegen jede Ordnung definiert. Hanybal spricht nämlich aus einem Milieu heraus, das ebenjene Kämpfe um Anerkennung führt. Seine Stimme selbst gilt oft als Lärm. Wenn er dies mit dem lauten Schweigen der Flüchtenden verbindet, die keine Stimme haben, entsteht ein lautes Schweigen, das sich weit über die Grenzen eines sich als links-verstehenden politischen Milieus hinausbegibt. Und er überwindet die Diffusität und Uneinigkeit subalterner Gruppen – also zwischen Flüchtenden und rassifizierter Menschen in Deutschland.
Damit ist er nicht allein
Und folgt man dem Hasenbau – ganz im Sinne des Films Matrix verstanden –, dann ist Hanybal nicht der einzige postmigrantische (Gangsta-)Rapper, der sich mit Flüchtenden solidarisiert. In „El Gorba“, was ungefähr so viel heißt wie „Heimweh“ und „sich fremd fühlen“, erzählt der Stuttgarter Rapper YONII von Flucht und verwebt diese Erzählung mit seiner eigenen Familiengeschichte: „Sie riskieren ihr Leben nur für Europa/ Euro, Dollar, Dirham, sie müssen vorzahlen/ Manche kommen nie an diesem Ort an“.
Und erst kürzlich erschien ein weiteres Lied von dem Frankfurter Credibil und dem Kreuzberger Frustra, das auch den Namen „Mittelmeer“ trägt. Im Intro blenden sie die Antrittsrede der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein, in dem sie sagt, dass Europa für ihre Kinder Zukunft und Weltoffenheit bedeutet und mit „es lebe Europa“ schließt. Die beiden Rapper kontrastieren die Rede mit Erzählungen von Fluchtgeschichten über das Mittelmeer. Für die einen heißt es „Es lebe Europa“, für die anderen: „Nicht jeder kommt lebend hier an“.
Nachtrag: „Nicht mehr als Rapper wahrgenommen“
Am 23. August 2022 ließ Hanybal auf Twitter verlauten, dass er keinen neuen Vertrag bei dem Major-Label bekommt, bei dem er bis dato unter Vertrag stand, weil man ihn „in den letzten Monaten gar nicht mehr richtig als Rapper wahrnehmen“ würde. „Hinzufügen möchte ich noch“, schreibt er, „dass ich es schon bemerkenswert finde, dass man mich, obwohl ich in den letzten 5 Monaten ein rassismuskritisches, sowie ein, sich mit der rassistischen Grenzpolitiken der EU befassendes Lied realeased habe, ‚gar nicht mehr richtig als Rapper wahrnehme‘“.
Vielleicht ist postmigrantischer Gangsta-Rap bereit, um subalterne Allianzen zu schmieden; die Kulturindustrie ist es nicht. Wer lautstark Kritik an der Ordnung übt und Schweigen hörbar macht, der wird zu unbequem. Meinung
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