Kino
Wie kosovarische Witwen Trauer in Arbeit verwandeln
Nach einer wahren Geschichte: Die kosovarische Regisseurin Blerta Basholli erzählt in „Hive“ vom Schicksal eines ganzen Dorfes, in dem die zurückgelassenen Frauen sich nach dem Krieg gegen die patriarchalen Strukturen auflehnen.
Von Sebastian Seidler Mittwoch, 07.09.2022, 19:30 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 07.09.2022, 15:06 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Krusha e Madhe. Das ist nicht einfach irgendein ein kleiner Ort im Kosovo. Es ist der Name eines unvorstellbaren Massakers während des Krieges. Im März 1999 zerstörten serbische Truppen das Dorf, zogen marodierend und vergewaltigend durch die Straßen und richteten die Männer hin. 140 Frauen des Ortes wurden zu Witwen. Viele Leichen wurden bis heute nicht gefunden.
Eine der Witwen ist Fahrije Hoti, die sich nach einem jahrelangen Kampf um Aufklärung nicht mit ihrem Schicksal abfinden wollte. Entgegen den patriarchalen Strukturen des Dorfes gründete sie die NGO „Die Frauen von Krusha“, um aktiv etwas an der Situation zu ändern. Auf dem Leben jener Fahrije basiert nun der beeindruckende Debütfilm der kosovarischen Regisseurin Blerta Basholli, der mit unaufdringlicher Ruhe von Verlust und weiblicher Selbstermächtigung erzählt.
Krieg in den Köpfen
„Hive“ zeichnet das einfühlsame Porträt einer willensstarken Frau, die sich mit stoischer Unbeugsamkeit gegen das Schicksal und die unendlich lächerlichen Regeln der Männer auflehnt. Ihr Mann ist verschwunden, wurde von serbischen Truppen verschleppt. Der Krieg ist vorbei und geht doch in den Köpfen der Menschen weiter. Sie und ihre Kinder hatten Glück, konnten mit dem Schwiegervater in einem neuen Haus unterkommen. Das alte Leben in Krusha e Madhe aber mussten sie zurücklassen, fast das gesamte Hab und Gut ging in Flammen auf.
Solange die Leiche aber nicht gefunden ist, bleibt die Hoffnung, dass der Mann doch noch wie durch ein Wunder plötzlich am Gartentor steht. An diese unwahrscheinliche Möglichkeit klammert sich vor allem der Vater. Auch Fahrije trägt diese blinde Hoffnung in sich, die dem pochenden Schmerz nähersteht als einem echten Glauben. Im Grunde macht sie sich keine Illusionen mehr und sie kann schlichtweg nicht mehr warten. Denn allein vom Verkauf des wenigen Honigs, den die Bienen geben, wird sie die Familie nicht ernähren können.
Wille zur Emanzipation
So versucht sie die Frauen des Dorfes zu animieren, dass sie sich selbstständig machen. Ein Supermarkt in der Stadt stellt Regale zur Verfügung. Gemeinsam, so die Idee, könnten sie Ajvar, eine traditionelle Paprikapaste, produzieren und dort verkaufen. Doch den Frauen ist das Arbeiten nicht erlaubt. Daran halten die alten Männer fest: Ihre Söhne haben die Familie zu ernähren.
Fahrije muss also kämpfen. Als sie den Führerschein macht, wird ihr die Autoscheibe eingeworfen, sie wird bedrängt, und selbst ihre Tochter wendet sich von ihr ab. Überall schwelt eine männliche Bedrohung; doch der Wille zur Emanzipation lässt sich nicht so einfach ersticken.
Klammern an das Alte
Die dörflichen Verhältnisse in „Hive“, das wird schnell klar, sind auch eine verzweifelte Schockstarre, in der die Existenz letztlich auf das bloße Überleben zurückgeworfen wird. Die Männer klammern sich an die alte Ordnung, während die Frauen in die Passivität des Wartens gezwungen werden: Ein eigenes Leben wird ihnen nicht zugestanden. Schließlich könnte der Mann ja jederzeit zurückkommen.
Die geschlechtliche Differenz gibt also gar die Form der Trauer vor. Als die Frauen schließlich mit ihrer gemeinsamen Arbeit beginnen, hat das weniger ökonomische Gründe, als dass sie den Weg in eine solidarische Zukunft weist. Und wenn die Frauen dann in der Küche tanzen, spürt man, dass sich ein Band knüpft, das man wieder Leben nennen kann. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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