Studie
Corona-Bildungshilfen haben förderbedürftige Schüler kaum erreicht
Die Corona-Bildungshilfen haben Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund kaum erreicht. Grund: Belastete Schulen erhielten Hilfen in gleicher Höhe wie Privatschulen oder Gymnasien. Das geht aus einer aktuellen Studie hervor.
Mittwoch, 21.09.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.09.2022, 15:37 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Ob Mathe-Nachhilfe, Förderstunden oder Feriencamp – das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona“ sollte Kindern und Jugendlichen helfen, pandemiebedingte Lernlücken zu schließen. Eine erste Bilanz des zwei Milliarden Euro teuren Bund-Länder-Pakets hat jetzt das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) vorgelegt. Das zentrale Ergebnis der Studie: Die selbstgesteckten Ziele des Programms wurden nur sehr bedingt erreicht.
Weitgehend verfehlt wurde das Ziel, jene Schüler zu erreichen, deren Lernfortschritte unter Schulschließungen und Distanzlernen besonders gelitten haben – Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund. Das gilt laut Studie auch für freiwillige Angebote wie Nachhilfe und Ferienprogramme. Diese wurden „wohl – wie es bei freiwilligen Bildungsangeboten ohnehin tendenziell der Fall ist – eher von sozial privilegierteren Gruppen in Anspruch genommen“, so die Studienautoren. Im Falle der Ferienprogramme gebe es zudem ernstzunehmende Hinweise darauf, dass gerade Kinder mit Migrationshintergrund aus dem südosteuropäischen Ausland und der Türkei „systematisch seltener an Ferienprogrammen teilnahmen, weil sie gerade in den langen Sommerferien ihre Familien in den Herkunftsländern besuchten“.
Zudem habe die Mehrheit der Länder ihre Mittel vorwiegend nach dem Gießkannenprinzip verteilt. So erhielten in vielen Bundesländern vergleichsweise privilegierte Schulen wie etwa Gymnasien oder Privatschulen im selben Umfang Mittel wie sozial belastete Schulen. Gerade außerschulische Angebote wie private Nachhilfe oder freiwillige Ferienprogramme, die in vielen Landesprogrammen ein starkes Gewicht haben, kamen den Angaben zufolge besonders förderbedürftigen Schülern nicht im angestrebten Maße zugute. Nur wenige Bundesländer haben teilweise die Mittel auf Grundlage von Lernstandserhebungen (Brandenburg) oder Sozialindizes (Hamburg, Hessen und teilweise Nordrhein-Westfalen) vergeben.
Offene Fragen wegen fehlenden Daten
Nur vereinzelt seien mit den Aufholprogrammen Schüler jener Klassenstufen unterstützt, in denen wichtige Weichen für den weiteren Bildungsweg gestellt werden, wie beim Übergang von der Grundschule auf weiterführende Schulen. Für die Mehrheit der Länder bleibe es zudem fraglich, inwieweit die angekündigte Unterstützung in den Kernfächern Deutsch und Mathematik stattfand.
Ob das Aktionsprogramm tatsächlich geholfen hat, pandemiebedingte Lernrückstände aufzuholen, bleibt laut Studie eine offene Frage. Der Grund: „Eine systematische Datenerhebung ist nicht erfolgt. Lernstandserhebungen fanden weit überwiegend dezentral an den Schulen statt, häufig nicht in standardisierter Form, und wurden später nicht systematisch zusammengeführt.“ Auch die Teilnahme an den neu geschaffenen Angeboten sei unzureichend dokumentiert worden.
Personalziele weitestgehend verfehlt
Ein Kernproblem der Aufholprogramme bestand der Erhebung zufolge in der Gewinnung von pädagogischem Personal. Hier zeigt die Studie mit den ihr vorliegenden Zahlen, dass kein Land seine selbstgesteckten Personalziele erreicht hat – weder bei den (befristeten) Einstellungen noch bei der Zahl der durchgeführten Förderangebote.
Dass individuelle Förderung zum Abbau von Lernrückständen am besten dort gelingt, wo bereits Strukturen bestehen, zeigt die Studie am Beispiel von Hamburg, wo die Umsetzung des Corona-Aufholprogramms am vielversprechendsten erscheint. In Hamburg werden seit Langem Lernrückstände systematisch an den Schulen bearbeitet und es wird so weit wie möglich auf Klassenwiederholungen verzichtet. Darüber hinaus gibt es hier ein Recht auf Ganztagsbeschulung bis 14 Jahre. Diese Strukturen konnten auch für den Abbau von Lernrückständen genutzt werden und mussten nicht erst aufgebaut werden.
Positiv: Neue pädagogische Angebote geschaffen
Als positiv bewerten die Autoren, dass durch das Aktionsprogramm lokale Kooperationen aufgebaut oder vertieft und neue pädagogische Angebote geschaffen wurden. „Das sind wichtige Impulse für die längerfristige Schulentwicklung“, sagt Marcel Helbig. Auch hätte das Aufholprogramm zu einer besseren Kommunikation und Kooperation der Länder beigetragen.
Für die Studie hat ein Team für alle 16 Bundesländer untersucht, wie die Hilfen konzipiert und umgesetzt wurden. Es wurden neben umfassenden Dokumentenanalysen Interviews mit Vertretern aller Landesverbände der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) geführt. (mig) Leitartikel Panorama
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