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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Schwer zu schluckende Muezzin

In Köln darf der Muezzin zum Gebet rufen - mit gleich 2 (zwei!) Lautsprechern und nicht einmal hörbar bis zur anderen Straßenseite. Zeit also, die christlich-abendländische Tradition der obsessiven Scheinheiligkeit abzulegen.

Von Montag, 17.10.2022, 15:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 17.10.2022, 14:00 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

In der 2006er Kömödie „Le Caire nid d’espions“ (Dt. Titel: „OSS117 – Der Spion, der sich liebte“) entscheidet sich der namensgebende französische Geheimagent OSS117 (gespielt von Jean Dujardin), vom Geschrei eines „Opas aufm Turm“ aus seinen süßen Träumen gerissen, ebenjenen darauf hinzuweisen, dass es doch wohl nicht sein könne, dass er so früh „rumjaule“, „wie ein kranker Hund“. Als der Opa – niemand anderes als der Muezzin der ägyptischen Hauptstadt – nicht hören will, prügelt der intellektuell wie politisch leicht zurückgebliebene Agent diesen einfach nieder.

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Ganz so weit ist es in Köln freilich noch nicht gekommen. Doch auch dort, in der deutschen Hauptstadt des politischen Katholizismus, rumort es, seit es der Muezzin der lokalen Zentralmoschee wagt, die Gläubigen mit gleich 2 (zwei!) Lautsprechern zum Gebet zu rufen. Die Stadt zittert vor dem „politischen Islam“, der hier sein finstres Haupt erhöbe – und auch wenn sich vortrefflich darüber streiten ließe, ob denn wohl der ruhmreiche Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine oder der weithin hörbare Ruf des Kölner Muezzin (Zeugen zufolge scheint dieser bis zur selben Straßenseite zu reichen – zur gegenüberliegenden Seite schon nicht mehr) die größere Machtdemonstration der jüngeren Geschichte sei, ist diese Diskussion doch müßig. Denn wenn der Ruf bis ganz rüber zur selben Straßenseite reicht, vielleicht ja sogar zum Mittelstreifen, dann ist meine Meinung recht klar – auch dann, wenn meine obige Anekdote natürlich keine Handlungsanweisung ist: Der Muezzin kann gern in seinen eigenen vier Wänden oder in denen der Moschee jodeln, wie er lustig ist, aber doch bitte nicht darüber hinaus.

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„Und jetzt … legen wir bis hierhin gehegte und gewürdigte christlich-abendländische Tradition der obsessiven Scheinheiligkeit zur Seite und packen die Butter bei die Fische.“

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Und jetzt, wo wir das klargestellt haben, legen wir bis hierhin gehegte und gewürdigte christlich-abendländische Tradition der obsessiven Scheinheiligkeit zur Seite und packen die Butter bei die Fische, wie man weiter nördlich sagt.

Köln verbietet Häuslebauern, im Stadtzentrum in die Höhe zu bauen, weil damit der Machtanspruch der christlichen Kirche, der praktisch die gesamte Innenstadt gehört (der katholischen, um ganz genau zu sein), infrage gestellt werden könnte: Zwischen Rheinufer und Ringstraßen darf, außer der Kirche, grundsätzlich niemand höher als 22,50 Meter bauen, weil höhere Bauten die „Sichtbeziehungen“ auf den Dom und andere Kirchen beeinträchtigen könnten (wer höher bauen will, muss das Gegenteil beweisen). Im direkten Umfeld der Kirchen gilt zudem ein „Wirkungsfeld“, in dem nicht höher als die Traufkante des jeweiligen Hauptschiffs gebaut werden darf. So geht Machtanspruch in Deutschland. Da müssen wir ran. Und zwar nicht nur in Köln.

Nun bin ich in meinem Leben in diesem Lande aber auch noch nie von einem Muezzin aus dem Bett gejodelt worden, das hirnrissige Gebimmel der Kirchen in der Umgebung hingegen – nichts anderes als die christliche Version des Muezzins – reißt mich des Sonntags verlässlich aus dem Schlaf der Gerechten. Und nicht nur das, auch der Diskriminierungsfreibrief der Kirchen, in Sachen des Arbeitsrechts ebenso, wie in Sachen des Kindesmissbrauchs, muss endlich auf den Prüfstand: Kirchen gebührt in einem demokratischen Staat ganz einfach nicht so viel Macht. Schönen Gruß an den Lauch-Hammer Woelki.

„Nutzen wir daher die wertvollen Denkanstöße der sicherlich von besten demokratischen Idealen ausgehenden Einwände gegen den Kölner Muezzin, die keinesfalls rassistischen oder spezifisch antimuslimischen Ressentiments entstammen.“

Religion darf ja gern jedermanns und jederfraus Privatangelegenheit sein und bleiben. In der demokratischen Öffentlichkeit sollte meines Erachtens aber gelten – und damit kennt man sich in Köln ja aus: eine Armlänge Abstand. Nutzen wir daher die wertvollen Denkanstöße der sicherlich von besten demokratischen Idealen ausgehenden Einwände gegen den Kölner Muezzin, die, da bin ich mir absolut sicher, keinesfalls rassistischen oder spezifisch antimuslimischen Ressentiments entstammen. Verbieten wir das Geläut, das den Wortstamm „laut“ ja bereits enthält, schaffen wir unsinnige Bauvorschriften ab, die allein dazu dienen, den Machtanspruch von Kirchen in demokratischen Innenstädten – ganz wortwörtlich – zu zementieren. Und beenden wir auf der Basis dieser neugefundenen Säkularität dann auch den Ruf des Muezzin, ohne uns dem Vorwurf des Rassismus aussetzen zu müssen.

Sollte sich, selbstverständlich wider Erwarten, aber doch zeigen, dass diejenigen, die dem Muezzin das Gejodel nicht erlauben wollen, weder das Gebimmel zu verbieten, noch die originär fundamentalistischen Bauvorschriften anzupassen bereit sind, werde ich meine Meinung wohl noch revidieren müssen: Dann lasst den ollen Opa doch Jaulen wie einen kranken Hund. Meinung

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  1. Levent Öztürk sagt:

    Was soll man dazu bitte noch sagen? Das latent in anderen Ländern auf Defizitsuche bezüglich Religionsfreiheit, Demokratie und Menschenrechte befindliche Deutschland tut sich, ähnlich wie bei der Rechtstaatlichkeit hinsichtlich der Vertuschung der NSU-Schwerverbrechen, in eigener Sache wieder sehr schwer! Anscheinend ist man in Deutschland noch nicht einmal annähernd so wiet, wie in der Türkei. Die vielen evangelischen, katholischen, armenisch othodoxen, bulgarisch orthodoxen und griechisch orthodoxen Kirchengemeinden alleine in Istanbul belegn das mehr als sehr deutlich. Die seit über 175 Jahren in Istanbul existente deutsch-evangelische Gemeinde EKD lässt in der evangelischen Kreuzkirche im istanbuler stadtteil Beyoglu stets die Glocken läuten. Ebenso läuten die Glocken in der istanbuler katholischen Kathedrale der Sant Antuan Gemeinde. Kein Istanbuler beschwert sich über das Glockenläuten und es gibt auch keine Diskussionen, Empörungen und schlecht gespielte Echauffierungen. In Alanya veranstaltet die der EKD zugehörige St. Nikolaus Gemeinde seit 13 Jahren den einzigen Weihnachtsmarkt in einem muslimischen Land und auch da ist kein einziger Türke der Ansicht, dass muslimische Werte verloren gehen würden. Solche Beispiele, von denen ich hier noch seitenweise aufzählen könnte fallen leider bei den deutschen Medien durch das Desinformationsraster, weswegen es keine Dokumentationssendungen über die Vielfalt der Kirchengeimenden in Istanbul, in der Türkei oder einfach Mal über den einzigen Weihnachtsmarkt in einem muslimischen Land dem Weihnachtsmarkt in Alanya gibt, wo auch die größte deutsche Gemeinde in der Türkei beheimatet ist. Wer interesse hat, sollte per Schlagwörter, wie „Kirchen in Istanbul“, „EKD in der Türkei“ oder „Weihnachtsmarkt in Alanya“ seit Wissen aktualisieren und dann Mal diese aktuelle Diskussion „Muezzinruf in Köln“ mit diesem Wissenstand betrachten und ob das dann noch zum global in vielen Ländern belehrend Meneschenrechte, Religionsfreiheit und Demokratie propagierenden Deutschland passt.