Dürre in Kenia
„Wir erleben hier die schlimmsten Folgen des Klimawandels“
Bis zu 4,4 Millionen Menschen sind in Kenia von Hunger und Mangelernährung bedroht. In einem Krankenhaus im Nordwesten des Landes erhalten Kinder aus der Region Hilfe. Besorgt blickt das Team dort auf die kommenden Monate.
Von Moritz Elliesen Dienstag, 18.10.2022, 19:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 18.10.2022, 14:24 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Es ist heiß und stickig in dem langgezogenen Raum, in dem sich weiß angestrichene Metallbetten aneinanderreihen. Erschöpfte Jungen und Mädchen liegen auf den grünen Matratzen in der Krankenstation für mangelernährte Kinder im Kakuma-Flüchtlingscamp im Turkana-County im Nordwesten Kenias.
Auch Godwyn, der auf dem Schoß seiner Mutter Anyes sitzt, wird hier wegen Mangelernährung und weil seine Tuberkulosemedikamente ihm zusetzen, behandelt. Sein Gesicht sei eines Morgens so stark angeschwollen, dass sie seine Augen nicht mehr gesehen habe, erzählt die 22-jährige Südsudanesin. „Ich hatte große Angst um ihn“, sagt sie. Dann fängt Anyes für einen Moment an zu weinen.
In Kenia nimmt die Zahl der Hungernden wieder zu. Bis zu 4,4 Millionen Menschen werden laut UN-Prognosen bis Ende des Jahres von Ernährungsunsicherheit bedroht sein. Besonders betroffen ist die karge Turkana-Region, wo knapp 930.000 Menschen leben. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung leidet dort laut den Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen unter Hunger oder Ernährungsunsicherheit. Knapp 90.000 Kinder brauchen Hilfe, weil sie mangelernährt sind. Kritisch ist die Lage auch in den nördlichen Regionen Marsabit, Isiolo und Mandera.
„Schlimmster Anstieg seit Jahren
In der vom International Rescue Committee (IRC) betriebenen Krankenstation in Kakuma werden jene Jungen und Mädchen behandelt, die nicht mehr zu Hause versorgt werden können. Sie kommen aus dem Flüchtlingslager, in dem Zehntausende Menschen unter anderem aus dem Südsudan, Äthiopien oder der Demokratischen Republik Kongo ausharren, aber zunehmend auch aus den umliegenden Gemeinschaften.
„Wir erleben den schlimmsten Anstieg seit Jahren“, sagt die Ärztin Sila Monthe, die sich mit ihrem Team um die Kinder kümmert. Davon zeugt die weiße Tafel neben dem Eingang, auf der die Zahl der monatlichen Einweisungen verzeichnet ist. Der bisherige Höhepunkt war im Juni erreicht: 253 Kinder waren da in Behandlung, fast viermal so viel wie im Vorjahr. Im August und September gingen die Zahlen zurück, doch sie liegen immer noch über dem Niveau von 2021.
Anhaltende Trockenheit
Dafür gibt es viele Gründe, von denen die verheerende Dürre in Turkana und anderen Teilen des Landes nur eine ist. Wegen der seit zwei Jahren anhaltenden Trockenheit sind Hunderttausende Ziegen, Kamele sowie andere Nutztiere verendet und Ernten ausgefallen. Prognosen der Weltwetterorganisation gehen davon aus, dass auch die fünfte Regensaison in Folge, die jetzt beginnen sollte, schwach ausfällt.
Doch auch die steigenden Lebensmittelpreise machen den Menschen zu schaffen. Wegen der Inflation, höheren Transportkosten und Ernteeinbußen sind Grundnahrungsmittel wie Mais im ganzen Land teurer geworden. Und nicht zuletzt fehlt Hilfsorganisation Geld. Helfer vor Ort beklagen, dass sie nun wegen des Ukraine-Krieges noch weniger Aufmerksamkeit bekommen.
Rationen im Flüchtlingslager halbiert
Das UN-Welternährungsprogramm habe die Rationen in dem Flüchtlingslager in diesem Jahr zwischenzeitlich um die Hälfte kürzen müssen, sagt die Ärztin Monthe, die ein empathisches Lachen hat und Späße mit den Kindern macht, wenn sie durch die Station läuft. Die Bargeldhilfen, die Flüchtlinge hier erhielten, könnten mit der Inflation nicht Schritt halten. „Ohne funktionierende Märkte hilft das Geld nicht viel.“
Auch Anyes, die in dem Camp geboren wurde, berichtet, dass sie weniger zu essen habe. Immerhin geht es ihrem Sohn Godwyn, dem langsam die Augen zufallen, wieder besser. Von seiner ernsten Lage zeugt noch der Zugang für Infusionen, der mit Pflastern an seinem rechten Arm befestigt ist. Für den Moment sei sie glücklich, sagt Anyes.
Kenia kaum zur Erderwärmung beigetragen
Sila Monthe hingegen blickt mit Sorge auf die kommenden Monate. „Wenn die Dürre anhält, steigen die Fälle spätestens im Januar und Februar wieder“, sagt die Ärztin. „Wir erleben hier die schlimmsten Folgen des Klimawandels.“ Dabei habe Kenia kaum zur Erderwärmung beigetragen. Die 29-Jährige glaubt, dass auf lange Sicht darüber nachgedacht werden müsse, wie die Menschen in der Region unabhängiger werden von Hilfslieferungen.
Doch vorerst geht es um akute Nothilfe. Im Mai, Juni und Juli mussten Monthe und ihr Team schon zusätzliche Betten aufstellen, um die Kinder zu versorgen. 45 Betten stehen in dem Raum, genug für den Moment. „Wir wissen, das ist nur die Ruhe vor dem Sturm“, sagt Monthe. (epd/mig) Aktuell Ausland
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