Krieg und Hoffnung
Auf der Frankfurter Buchmesse steht auch die Ukraine im Fokus
Die ukrainische Buchbranche kämpft ums Überleben. Auf der Frankfurter Buchmesse sollen die Ukraine und ihre Literatur ein öffentliches Forum erhalten. Verleger und Autoren knüpfen daran einige Erwartungen.
Von Renate Kortheuer-Schüring Mittwoch, 19.10.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 26.06.2023, 8:51 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Der russische Angriffskrieg hat auch die Buchbranche in der Ukraine in eine schwere Krise gestürzt: Zerstörte Druckereien, kein Papier, wenig Leser, kaum Mitarbeiter für Druck und Verlag. „Der Markt ist so gut wie tot“, bilanzierte der Verleger Viktor Kruhlov aus Charkiw in der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „Osteuropa“. In diesen Tagen reisen er und andere Verleger sowie viele ukrainische Autorinnen und Autoren zur Frankfurter Buchmesse, die am 19. Oktober beginnt. Ihre Hoffnungen auf internationale Vertragsabschlüsse, die der Branche helfen könnten, sind groß. Die Buchmesse ihrerseits will das ukrainische Literatur- und Verlagsleben unterstützen.
„Es ist uns ein besonderes Anliegen, der ukrainischen Buchbranche weltweit Sichtbarkeit zu geben“, sagt Buchmessen-Direktor Juergen Boos. Und die wird es geben – nicht nur wegen des Aufgebots an Autoren und der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan. Auf Einladung der Buchmesse und des Europäischen Verlegerverbandes wird – per Video zugeschaltet – am Donnerstag (20. Oktober) auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprechen, anschließend EU-Kultur-Kommissarin Mariya Gabriel.
Der Auftritt macht klar: Das in der eigenen Sprache gedruckte Wort und die internationale Wahrnehmung der eigenen Kultur werden von den Ukrainern und Ukrainerinnen als Grundfeste ihrer nationalen Unabhängigkeit gesehen. Die Verlegerin Anetta Antonenko warf Russland in einem Interview einmal die Okkupation der ukrainischen Literatur vor: „Sie eigneten sich unsere Schriftsteller – Gogol, Bulgakow, Babel – an und bezeichneten sie als russisch.“ Damit solle Schluss sein. Antonenko verlegt nur noch in ukrainischer Sprache – wie auch viele andere ukrainische Verlage.
Branche leidet seit dem Krieg
Die Buchproduktion des Landes, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit ihrer staatlich subventionierten sozialistischen Propaganda-Literatur radikal geschrumpft war, hatte vor einigen Jahren begonnen, sich zu erholen. Seit der russischen Annexion der Krim 2014 sei das Interesse der einheimischen Leserschaft an Büchern in ukrainischer Sprache gewachsen, sagte die Direktorin des Ukrainischen Buchinstituts, Oleksandra Koval, der Zeitschrift „Osteuropa“. Statt „russischer Narrative“ würden jetzt ukrainische und europäische bevorzugt. In den vergangenen Jahren seien neue Buchhandlungen, Druckereien und Verlage entstanden.
Seit dem 24. Februar 2022 haben die etwas mehr als 1.000 ukrainischen Verlage – vor allem in Kiew, Charkiw und Lwiw – jedoch schwer gelitten: Zahlreiche Gebäude und Maschinen, besonders in Charkiw, sind den Angaben des Ukrainischen Buchinstituts zufolge zerstört. Beschäftigte der Druckindustrie und der Buchbranche flohen oder gingen zum Militär, etliche haben ihr Leben verloren. Staatliche Mittel für Schulbücher und den Ankauf für Bibliotheken fielen weg. Im Jahr 2021 habe es in der Ukraine 220 stationäre Buchläden gegeben, erklärt Koval, ihre Zahl sei um 40 Prozent zurückgegangen – mangels Kunden.
Auflagenzahlen um 70 Prozent eingebrochen
Nach Angaben des staatlichen Buchinstituts hat sich die Zahl der Titel im ersten Halbjahr 2022 gegenüber dem Vorjahreszeitraum fast halbiert: 2.357 Titel statt 4.383. Die Gesamtauflage sank um 70 Prozent. „Eine Erholung der Buchbranche ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten“, sagt Oleksandra Koval und verweist auf düstere Wirtschaftsprognosen für die Ukraine. Bücher seien für die meisten Ukrainer Luxusgüter.
Eine Wiederbelebung der Branche ist wohl nur mit ausländischer Unterstützung möglich. Die Frankfurter Buchmesse hat ukrainische Verleger und Autoren eingeladen, um für die Ukraine ein öffentliches Forum zu schaffen. So soll es in Halle 4.0 einen ukrainischen Gemeinschaftsstand (B 114) geben, organisiert vom Buchinstitut und dem Kiewer Goethe-Institut, mit eigener Bühne, reichem Lese- und Diskussionsprogramm. Ein Workshop, gefördert durch das Auswärtige Amt, soll osteuropäischen Verlegern helfen, Geschäftsabschlüsse mit fremdsprachigen, auch deutschen Verlagen zu erreichen. Russische Verlage werden auf der Messe nicht präsent sein.
Hoffen auf Nachfrage nach ukrainischer Literatur
„Die ukrainischen Autoren hoffen, die Rechte an ihren Werken möglichst breit zu verkaufen“, sagte Andrej Kurkow, Präsident des PEN Ukraine, dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Verlage würden viele Werke junger Autoren präsentieren. Auch der verlegerische Austausch sei wichtig. Die Übersetzung von Werken der Weltliteratur – mit finanzieller Unterstützung westlicher Regierungen und Kultureinrichtungen – werde für einige Verlage der „Schlüssel zum Überleben“ sein.
Auch Oleksandra Koval erhofft sich eine große Nachfrage nach ukrainischer Literatur. Ihr Land wolle bis 2032 die öffentlichen Bibliotheken mit ukrainisch-sprachigen Büchern aufstocken, berichtet sie. Zur Förderung der Branche sei zudem der Aufbau digitaler Ressourcen geplant. Ohne die Unterstützung anderer Länder gehe das nicht, setzt sie hinzu. Literatur und Buchbranche der Ukraine müssten „als Bestandteil der europäischen und der weltweiten Kultur erhalten bleiben“. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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