IOM-Bericht
Mehr als 5.600 Todesfälle auf europäischen Migrationsrouten seit 2021
Seit 2021 sind auf Migrationsrouten nach und innerhalb Europas mehr als 5.600 Menschen gestorben. Das geht aus einem aktuellen Bericht der Vereinten Nationen hervor. Die Zahl der Todesfälle summiert sich seit 2014 sogar auf knapp 30.000. Die Organisation appelliert an die Staaten in Europa.
Dienstag, 25.10.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 25.10.2022, 14:55 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Das Missing Migrants Project der IOM hat 5.684 Todesfälle auf Migrationsrouten nach und innerhalb Europas seit Anfang 2021 dokumentiert, mit einer steigenden Zahl an Todesfällen auf den Routen über das Mittelmeer, an den Landgrenzen zu Europa und innerhalb des Kontinents. Seit 2014 summiert sich die Zahl der Todesfälle auf 29.000. Das geht aus einem am Dienstag veröffentlichen IOM-Bericht hervor. „Diese anhaltenden Todesfälle sind eine weitere düstere Erinnerung daran, dass mehr legale und sichere Wege zur Migration dringend erforderlich sind“, sagt Julia Black, Autorin des Berichts.
Den Angaben zufolge wurden auf der zentralen Mittelmeerroute seit 2021 mindestens 2.836 Todes- und Vermisstenfälle dokumentiert, ein Anstieg gegenüber den 2.262 Todesfällen, die zwischen 2019 und 2020 verzeichnet wurden. Auf der Route über den Atlantik zu den spanischen Kanarischen Inseln wurden im Berichtszeitraum 1.532 Todesfälle dokumentiert, eine Zahl, die bereits höher ist als in jedem Zweijahreszeitraum seit Beginn der Dokumentation von Todesfällen durch die IOM im Jahr 2014.
Auf diesen beiden Überseerouten sind laut IOM die Daten für das laufende Jahr höchstwahrscheinlich unvollständig. Die Überprüfung der allzu häufig auftretenden „unsichtbaren Schiffbrüche“, das sind Fälle, in denen ganze Boote auf See verloren gehen, ohne dass eine Suche und Rettung durchgeführt wird, sehr schwierig sei.
Mehr Tote auf europäischen Routen
Dem Bericht zufolge ist die Zahl der Todesopfer seit 2021 auf vielen anderen europäischen Routen im Vergleich zu den Vorjahren gestiegen, insbesondere an der Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland (126 dokumentierte Todesfälle), auf der Westbalkanroute (69), bei der Überquerung des Ärmelkanals (53), an den Grenzen zwischen Belarus und der Europäischen Union (23) und beim Tod von Ukrainer:innen auf der Flucht vor dem jüngsten Konflikt (17).
Abgesehen von einem strukturellen Versagen bei der Bereitstellung angemessener sicherer Migrationsmöglichkeiten zeigen die Aufzeichnungen des Missing Migrants Project, dass viele der Todesfälle auf Migrationsrouten zu Zielländern in Europa durch schnelle und wirksame Hilfe für Migrant:innen in Not hätten verhindert werden können. „Aus Berichten von Überlebenden, die der IOM übermittelt wurden, geht hervor, dass seit 2021 mindestens 252 Menschen bei angeblichen Zwangsabschiebungen durch europäische Behörden, auch bekannt als Pushbacks, ums Leben gekommen sind“, heißt es.
Tote ohne Namen
Auch Pushback-bedingte Todesfälle wurden dokumentiert: im zentralen Mittelmeer (97 Todesfälle seit 2021), im östlichen Mittelmeer (70 Todesfälle), an der türkisch-griechischen Landgrenze (58 Todesfälle), im westlichen Mittelmeer (23 Todesfälle) und an der belarusisch-polnischen Grenze (4 Todesfälle). „Solche Fälle lassen sich aufgrund von mangelnder Transparenz, mangelndem Zugang und der hochgradigen Politisierung solcher Ereignisse kaum vollständig verifizieren, so dass diese Daten wahrscheinlich eine Unterschätzung der tatsächlichen Anzahl von Todesfällen sind“, teilt IOM mit.
Wie aus den Daten des Missing Migrants Project außerdem hervorgeht, ist die Identifizierungsrate von Menschen, die auf den Migrationsrouten nach und innerhalb Europas sterben, niedriger als in anderen Regionen der Welt. So konnte beispielsweise im zentralen Mittelmeer nur bei 4 von 59 Personen (7 Prozent), die im Jahr 2021 vor der europäischen Küste starben, die Nationalität festgestellt werden. Das bedeutet, dass die Identität der übrigen 55 Personen wahrscheinlich unbekannt bleibt. Dies ist deutlich geringer als bei den Toten vor der nordafrikanischen Küste auf der zentralen Mittelmeerüberquerung, wo 457 von 1.508 Personen (30 Prozent) mit einem bekannten Herkunftsland registriert wurden.
Appell an Europa
Insgesamt sind mehr als 17.000 Menschen, die zwischen 2014 und 2021 auf den Routen nach und innerhalb Europas ums Leben gekommen sind, ohne Angaben zum Herkunftsland aufgelistet. Das sei ein wichtiger Identifizierungsmerkmal für Familien, die nach vermissten Angehörigen suchen. „In unserem Datensatz sind Menschen aus 52 Ländern enthalten, die auf den Migrationsrouten nach und innerhalb Europas ums Leben gekommen sind“, so Black. „Das Ausmaß dieses Problems— und die Auswirkungen auf Familien und Gemeinschaften, die mit ungelösten Verlusten zu kämpfen haben— bedeutet, dass es keine wirkliche Lösung geben wird, wenn die Behörden nicht mitziehen.“
Die IOM ruft die Staaten in Europa und darüber hinaus auf, dringende und konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um Leben zu retten und die Zahl der Todesfälle auf Migrationsrouten zu verringern. „Die Staaten müssen das Recht auf Leben für alle Menschen aufrechterhalten, indem sie weitere Todesfälle und das Verschwinden von Menschen verhindern“, heißt es in dem Aufruf. Dazu gehöre auch, dass der Suche und Rettung an Land und auf See Vorrang eingeräumt wird und die Kriminalisierung von nichtstaatlichen Akteuren, die Migranten in Not humanitäre Hilfe leisten, beendet wird. (mig) Leitartikel Panorama
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