Nebenan
Die letzten Klimagegner
Alle reden über die "Letzte Generation", manche darüber, manche daneben. Ich will es anders versuchen - fest im Griff des Pessimismus und mit Hoffnung.
Von Sven Bensmann Montag, 14.11.2022, 16:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.11.2022, 6:10 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Guten Tag! Haben Sie einen Moment, um über Gott zu reden? Über diese gottverdammte Scheiße meine ich, die aktuell im Zusammenhang mit der sogenannten „Letzten Generation“ in die Welt gekotzt wird. Denn beim Bullshit-Bingo für reaktionäre Beißreflexe haben diese Jungs, Mädchen und Sterne bereits den Jackpot gezogen.
Da sind die Einen, die es gar „melodramatisch“ finden, wenn sich eine Generation, die sich berechtigterweise als die letzte sieht, die den Klimawandel noch auf eine Weise zu beeinflussen in der Lage ist, dass auch in Zukunft noch menschliche Zivilisation möglich sein wird, ausgerechnet „Letzte Generation“ nennt. Klar kann man die Diskussion auf diesem Niveau führen, aber dann ist man halt dumm.
Aber da sind ja auch die Anderen, die auf jede Form von Streik nach dem „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“-Prinzip reagieren: Klar sind Streik und Protest wichtig, aber müssen das Bahnpersonal wirklich Züge, Busfahrer wirklich Busse, Schüler die Schule bestreiken, und Klimaprotestler mitten im Verkehr? Und das ausgerechnet jetzt, wo ich hier durchmuss!? Klar kann man die Diskussion auch auf diesem Niveau führen. Dass aber jeden gedacht sei, wenn jeder nur an sich denke, wird den Klimawandel nicht aufhalten, wahrscheinlicher ist, dass es die FDP aus der Regierung unter Umgehung der Traufe direkt unter die 5%-Hürde, vulgo: die Scheiße führen wird.
„Es braucht mittlerweile ein radikales Umsteuern – die Zeit, in der es dafür keine radikalen Ideen und keine radikalen Protestformen brauchte, ist verstrichen.“
Wieder andere verpacken ihre reaktionäre Gesinnung in eine Pseudozustimmung: „Sie haben ja recht, aber so nimmt man doch nicht alle mit.“ Ja nee, is klar. Wer jetzt noch nicht mitgenommen ist, ist so zurückgeblieben, dass für ein Mitnehmen eine solche Menge an fossilen Brennstoffen verbaucht werden müsste, dass das Ziel nicht mehr zu erreichen wäre. Die große Mehrheit der Menschen ist ja bereits an Bord, wir müssen halt bloß noch die Weichen richtig stellen – und das passiert nur deshalb nicht, weil es allen an Bord aktuell noch zu bequem ist. Es braucht mittlerweile ein radikales Umsteuern – die Zeit, in der es dafür keine radikalen Ideen und keine radikalen Protestformen brauchte, ist verstrichen, weil weniger radikale Ideen und weniger radikaler Protest einfach verpufft sind.
Das Letzte sind aber diejenigen, die meinen, dass dieser Protest sich nicht gebiete, weil er ja selbst so schnell verpuffe. Die Leute würden schon jetzt kaum noch reagieren, wenn Dosensuppe oder Kartoffelbrei auf die Kunstwerke ihrerseits hochgradig radikaler Künstler fliege – diejenige Kunst, an die Menschen Jahrhunderte später noch erinnern, ist eben immer radikal. Wichtige Kunstwerke sind immer transformativ und eben nicht dazu gedacht, in einem Museum Staub anzusetzen, oder gar im stillen Kämmerlein vor sich hinzurotten, während nur eine Kopie ausgestellt wird. Solange dieser Protest überall in den Hauptnachrichten und den Zeitungen stattfindet, auf Twitter, Facebook und Youtube für echauffierte Reaktionen sorgt, funktioniert er – noch.
Und was wäre die Alternative?
„Der deutsche Regierungschef kam beim Klimagipfel ziemlich anständig durch den Tag, ohne überhaupt vom Klimagipfel etwas mitzubekommen.“
Dieser Tage sind eine Reihe von Regierungs- und Staatschefs in Ägypten zusammengekommen, um sich darauf zu verständigen, dass man ja eigentlich was tun müsste, jetzt gerade aber leider keine Lust hat – und während in Großbritannien immerhin einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, dass der Gipfel überhaupt stattfindet, weil nämlich der neue Premier seinem König, der schon als Prinz Umweltschutz für eine im Prinzip gute Sache gehalten hatte, verboten hatte, dort teilzunehmen, kam der Deutsche, trotz grüner Regierungsbeteiligung, ziemlich anständig durch den Tag, ohne überhaupt vom Klimagipfel etwas mitzubekommen.
Ist das etwa die Form von Klimaschutz, die sich die „Kritiker“ der Letzten Generation wünschen? Klimapolitik, die an einer breiten Öffentlichkeit weitgehend vorbeigeht, auch wenn die angeblich mächtigsten Personen der Welt sich dazu treffen? Dass wir alles beim Alten lassen, weil wir, als die vorletzte und vorvorletzte Generation der Sintflut womöglich gerade so noch entkommen könnten, obwohl doch gerade erst gemeldet wurde, dass Grönland sehr viel schneller abschmilzt als erwartet, und sich die daraus ergebenden Mengen Wasser sehr viel schneller und sehr viel höher an unseren Deichen brechen könnten? Wer meint, dass ihn der Klimawandel nicht betrifft, sollte sich beim Sterben besser beeilen, um nicht noch eines Besseren belehrt zu werden.
Und eigentlich sollte das sogar über alle Parteigrenzen und bar jeder Ideologie der Konsens sein: In der ARD lief vor ein paar Jahren ein Sketch über angebliche „Rassisten ohne Grenzen“ (für den sich ausnahmsweise mal niemand entschuldigt hat), über Faschos, die in Afrika Brunnen und Schulen bauen, um Ausländer zu bekämpfen, „bevor sie Ausländer werden“, ganz im Sinne der rassistischen Schule des „Ethnopluralismus“: Es sollte also selbst bei Union und AfD jedem klar sein, dass der Klimawandel auch die piefige Heimatidee der Rechtsideologen von Merz über Söder bis Höcke ganz direkt bedroht, indem er Menschen entwurzelt und ins kühlere und durch Deiche befestigte Deutschland zieht, die durch den Klimawandel unweigerlich ihre eigene Heimat verlieren werden.
„Ich diskutiere gern mit jedem und allen darüber, ob diese Form des Protests sinnvoll ist – weil ich, mittlerweile fest im Griff des Pessimismus, fest davon ausgehe, dass nicht einmal diese Form von radikalem, friedlichen Protest einen Impact haben wird.“
Ich diskutiere daher gern mit jedem und allen darüber, ob diese Form des Protests sinnvoll ist – weil ich, mittlerweile fest im Griff des Pessimismus, fest davon ausgehe, dass nicht einmal diese Form von radikalem, friedlichen Protest einen Impact haben wird, und dass es wahrscheinlich sowieso schon zu spät ist. Aber dass eine ganze Generation deshalb nun lachend in die sprichwörtliche Kreissäge laufen sollte, statt sich mit aller Macht an die verzweifelte Idee zu klammern, dass jede bedeutsame Änderung heute ihre Zukunft vielleicht wird weniger beschissen machen können, sollte man nicht einfach mit leeren Worthülsen vom Tisch putzen.
Und wie sagte angeblich schon Gandhi? „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du.“ Die frühere Umweltbewegung wurde ignoriert, FFF belacht, die letzte Generation wird bekämpft. Vielleicht gibt es ja doch noch etwas Hoffnung.
In diesem Sinne: Eene, meene, mei – Flieg los, Kartoffelbrei! Meinung
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Hey, das ist ja mal ein erfrischend offener und direkter Artikel, der genau auf der Zielgeraden liegt. Fehlte nur noch ein Verweis auf Dieter Nuhr, der ja „mit dem Klimawandel“ leben möchte. Wohl bekomm´s kann man dazu nur sagen.
Diskutieren auch immer schön und gut aber bitte nicht auf der „Umweltschutz ist Heimatschutz“-Ebene – gut herausgearbeitet, mit „die Ausländer bekämpfen, bevor sie zu Ausländern werden“. Klingt wie Satire, ist aber bittere Realität.
Noch mehr solcher Beiträge bitte!!!